Es genügt, in Italien «Il Sommo Poeta» zu raunen, «der höchste Dichter». Und jedem und jeder ist klar, dass ER gemeint ist: Dante Alighieri.
Dante hat mit der «Göttlichen Komödie», einer fiktiven Reise durch das Paradies, in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts ein Werk geschaffen, das Literaturgeschichten zu den wichtigsten der Menschheit zählen. Ein Werk, das Dante mit antiken Grössen wie Homer oder Ovid in einer Reihe stehen lässt.
Krimis, Games und Pizza
Heute begegnet man Dante in Italien auf Schritt und Tritt: «Piazza Dante», «Via Dante», «Pizzeria Dante», «Salumeria Dante»... Zudem gibt es zahllose Dante-Gedenktafeln, Dante-Statuen und Dante-Ausstellungen.
Es gibt Dante-Comics, Dante-Krimis, sogar Dante-Videogames. Der italienische Schauspieler Roberto Benigni liest Dante im TV zur besten Sendezeit.
Dante ist fixer Teil der Alltagssprache: Es gehört zum guten Ton, in passenden – und gelegentlich auch unpassenden – Situationen Phrasen aus der «Göttlichen Komödie» in die Runde zu werfen.
Dante fürs Leben
Dante ist eine nationale Ikone. Dies beginnt schon in der Schule mit Workshops für die ganz Kleinen. So richtig los geht es dann im Gymnasium.
Drei Jahre lange beschäftigen sich die Jugendlichen mit der «Göttlichen Komödie». Jedes Jahr ist einem Teil des dreiteiligen Werks gewidmet: von der Hölle geht es übers Fegefeuer hinauf ins Paradies.
Wer dort ankommt, trägt für den Rest seines Lebens die Überzeugung in sich, dass Dante tatsächlich der «Sommo Poeta» ist.
Vater der italienischen Literatursprache
Zweifelsohne hat Dante mit seiner «Göttlichen Komödie» ein absolut einzigartiges Werk abgeliefert: plastisch, emotional, bildstark, voll von Anspielungen auf Historie und Gegenwart, sprachlich vollkommen.
Dante war zudem der erste Dichter, der Literatur in der Volkssprache Italienisch schrieb. Und nicht – wie üblich – auf Lateinisch. Auch darum ist er so beliebt wie kein anderer Künstler. Selbst Leonardo oder Michelangelo müssen für einmal hinten anstehen.
Es gibt aber auch ein «zu viel» an Verehrung. So wie sie etwa der italienische Spitzenpolitiker Dario Franceschini praktiziert: Er behauptete, Dante verkörpere «die Einheit des Landes» und die «Idee von Italien selbst».
Dies ist unhistorischer Blödsinn. Zu Dantes Zeit bildete die italienische Halbinsel politisch einen Flickenteppich kleiner Königreiche, Herzogtümer und Stadtstaaten. Die Idee des geeinten Italiens war Dante nachweislich absolut fremd und entstand erst Jahrhunderte später.
Nationale Empfindlichkeiten
Und wehe, es komme da einer, der es wagt, öffentlich am Monument des Säulenheiligen zu rütteln. Dann hört der Spass auf. Das erfuhr unlängst auch Arno Widmann, der deutsche Journalist und ehemalige Feuilletonchef der «Frankfurter Rundschau».
War die «Commedia» tatsächlich Dantes durch und durch originäre Leistung? Widmann setzte in einem Artikel einige sachlich vorgetragen Fragezeichen hinter die verbreitete These, Dantes «Göttliche Komödie» sei durch keinerlei andere Quellen inspiriert.
«Frevel an einem nationalen Symbol»
Der Sturm der Entrüstung, den Widmann mit seinem Essay auslöste, war eindrucksvoll: Die italienische «la Repubblica» bezeichnete ihn als «Peitschenhieb», als «Angriff» gegen «Dante, Italien und die Dante-Feierlichkeiten».
Andere Medien zogen nach. Es meldeten sich gar Stimmen, wonach die italienische Politik vom deutschen Staat auf höchster Ebene eine Entschuldigung verlangen müsse «für diesen Frevel an einem nationalen Symbol». Der Sturm legte sich nach ein paar Wochen von selbst.
Aber was hätte eigentlich Dante zum Rummel und Kult um seine Person gesagt? Eine mögliche Antwort findet sich im Mittelteil der «Commedia»: «Folge mir nach und lass die Leute reden.»