«Mord und Selbstmord zugleich» nannte der Schriftsteller Erich Kästner die Bücherverbrennung der Nazis. Seine eigenen Werke wurden damals auch verbrannt.
In dieser breit angelegten Aktion in Berlin und 18 weiteren deutschen Universitätsstädten ging es darum, das deutsche Geistesleben von jenem Gedankengut zu «säubern», das die Nazis als «undeutsch» einstuften. Die Aktion endete mit der Zerstörung des deutschen Geisteslebens selbst.
Nicht aus Naivität
Die meisten verfolgten Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Bertolt Brecht oder Kurt Tucholsky flohen aus Deutschland. Doch Erich Kästner harrte aus.
«Er dachte, das funktioniere so wie bei den Kanzlerschaften vor 1933 in der Weimarer Republik. Die Regierenden kommen und gehen, so werde es mit Hitler auch laufen», sagt der Literaturwissenschaftler und Kästner-Biograf Sven Hanuschek.
Ihm deshalb Naivität zu unterstellen, greift für Hanuschek allerdings zu kurz. Erich Kästner blieb nicht in Deutschland, weil er die Nazis unterschätzte, sondern weil er sie beschreiben wollte. Sein Plan: bleiben und einen Zeitzeugen-Roman schreiben.
Zweimal wurde Kästner in zwölf Jahren von der Gestapo festgenommen. Diese Zeit hat er nur dank sehr viel Glück und Argumentationsgeschick überlebt. Über Wasser hielt sich der Autor mit seinen Unterhaltungsromanen wie «Drei Männer im Schnee». Einige davon wurden in der Schweiz gedruckt und fanden von hier aus den Weg nach Deutschland.
«Zusammen mit Freunden schrieb er auch Theaterstücke», sagt Hanuschek. «Seine Integrität hat er stets bewahrt.»
Versteckte Botschaften
Und dann ist da noch die berühmte Geschichte rund um den Film «Münchhausen» aus dem Jahr 1943, bei dem Kästner am Drehbuch mitarbeitete. Dort ist Kästners Umgang mit der Macht gut zu sehen.
«Münchhausen» ist von dem damals staatlichen deutschen Filmunternehmen UFA produziert worden. Entsprechend geschah nichts ohne das Wissen von Joseph Goebbels. Trotzdem schafft es Kästner als Mitautor, einige versteckte Botschaften hineinzuschmuggeln.
Dazu gehört auch eine Hitler-Parodie, die so schnell vorbei ist, dass man sich gar nicht sicher ist, ob sie wirklich im Film vorkommt.
Von der Realität eingeholt
Kästners Plan, im Nazi-Deutschland zu bleiben und seinen Zeitzeugen-Roman zu schreiben, geht nicht auf. Im Sommer 1945 lernt er in Berlin einen ehemaligen KZ-Häftling kennen, Männe Kratz heisst er. Von ihm erfährt er die Wahrheit über den Holocaust.
Erich Kästner ist so schockiert, dass er nicht nur seinen Bericht für vollkommen belanglos hält und aufgibt, sondern auch sein Verbleiben in Deutschland als Fehler betrachtet. Davon erzählt er in den 1970er-Jahren, in zwei seiner letzten Interviews.
Doppelt gescheitert
Nach dem Krieg arbeitete Kästner wieder als Journalist und berichtete aus Nürnberg von den Kriegsverbrecherprozessen. Der Versuch, an seinen Stil der 1920er-Jahre anzuknüpfen, gelang ihm aber nicht.
«Dafür hatte er die ästhetischen Mittel nicht. Die Dokumentarautoren, die über die Prozesse schreiben, das kommt alles erst im Laufe der 1960er-Jahre», sagt Hanuschek.
Wir haben es also mit einem zweifach gescheiterten Kästner zu tun. Sein Plan, einen Zeitzeugen-Roman zu schreiben, ging nicht auf. Auch literarisch stiess er an seine Grenzen. Mit Mitschuld oder mangelnder Integrität hat das aber nichts zu tun.