Jennifer Clement steht auf der Dachterrasse ihres Kolonialhäuschens und lässt ihre Augen über San Miguel de Allende schweifen: eine Kleinstadt mit prächtigen Kirchen und bunt gestrichenen Kolonialbauten in Zentralmexiko. Eigentlich wohnt die 59-Jährige in Mexiko-Stadt. Sie zieht sich jedoch oft hierher zum Arbeiten zurück.
In Jennifer Clements Person verschmelzen Mexiko und die USA zu einer Einheit. «Ich bin Tochter von nordamerikanischen Eltern, die nach Mexiko kamen, als ich sechs Monate alt war.»
Mädchenhandel in Mexiko
«Wäre ich ein Mädchen, würde man mich stehlen», sagt Ladydi im Clements Roman «Gebete für die Vermissten». Daher verkleidet ihre Mutter sie als Jungen. Ladydi wohnt in einem Bergdorf im mexikanischen Bundesstaat Guerrero.
Ständig tauchen Drogendealer auf und verschleppen Mädchen. Sie prostituieren sie in Mexiko oder verkaufen sie in die USA. Männer gibt es kaum in dem Dorf. Sie sind auf der Suche nach Arbeit über die Grenze in die USA gegangen oder längst tot. Jennifer Clements Roman basiert auf Interviews, die sich mit den Müttern der verschwundenen Mädchen geführt hat.
Problem Waffenhandel
In Jennifer Clements jüngsten Roman «Gun Love» geht es um Waffen, die tagtäglich über die Grenze von den USA nach Mexiko geschmuggelt werden. Das Mädchen Pearl wächst mit ihrer Mutter im Auto in den USA auf. Auf der abgelegenen Müllkippe, wo ihr Auto steht, tauchen immer mehr Waffen auf. Schliesslich lässt Pearls Mutter zu, dass sie sogar eine Waffe bei sich im Auto haben.
«Etwa 200'000 Waffen gelangen pro Jahr über die Grenze. Viele unserer Probleme in Mexiko haben mit diesen Waffen zu tun», entrüstet sich die Schriftstellerin.
Gefährliche Zugfahrt
Jennifer Clement macht eine Geste, als ob sie an der dicken Steinmauer ihres Hauses horchen würde. «Hier in San Miguel kann ich den Zug hören, hier im Haus, wie er um vier Uhr morgens vorbeirauscht.» Sie meint den berüchtigten Zug «La bestia», der von Zentralamerika Richtung Norden fährt.
Viele Zentralamerikaner fliehen vor Armut und Gewalt aus ihren Heimatländern und springen auf diesen Zug auf, um an die Grenze zu den USA zu gelangen.
Neben den Grenzthemen Mädchen- und Waffenhandel berührt die Schriftstellerin die Situation dieser zentralamerikanischen Flüchtlinge. Eine ihrer Roman-Figuren in «Die Gebete für die Vermissten» ist eine Guatemaltekin. Sie hat nur einen Arm, «denn oft verlieren sie Arme oder Beine, wenn sie von dem Güterzug fallen».
Doch nicht nur das: Auf dieser Fahrt werden viele von ihnen ausgeraubt, vergewaltigt oder getötet, so Clement.
Verwirrung und Schmerz
Jennifer Clement schüttelt den Kopf über die rassistischen Bemerkungen Donald Trumps und seine Parolen über Grenzbefestigung und Mauerbau. «Am Anfang spürte ich in Mexiko eine grosse Verwirrung und später sehr viel Schmerz.»
Viele Mexikaner haben Familienmitglieder in den USA. Doch es herrsche in Mexiko ein grosser Sinn für Humor. «Wenn du lachst, tut es nicht so weh». Trump werde als Clown gesehen, sagt sie, aber als gefährlicher Clown.