Seit vielen Jahrzehnten stellen Sie sich in den Dienst der Kultur. Nun zeigt SRF einen Dokumentarfilm über zeitgenössische Schweizer Autorinnen und Autoren aus allen vier Landesteilen, die Sie besucht und persönlich kennengelernt haben. Was hat Sie beim Dreh am meisten überrascht?
Max Moor: Am meisten hat mich überrascht, wie ich nach zehn Jahren Brandenburg die Schweiz wieder erlebe. Der eindrucksvollste Moment war der im Emmental. Ich habe zum Beispiel im Ohr, dass alle Schweizer gern ein bisschen übers Emmental spotten. Und dann habe ich die wuchtigen Häuser gesehen, den Reichtum, die Sattheit – da ist mir als Brandenburger Bio-Bauer das Herz aufgegangen, und ich habe Sehnsucht bekommen.
Und die Autoren?
Die haben mich einfach fasziniert. So viele verschiedene Persönlichkeiten aus ganz unterschiedlichen Regionen, die verschiedene Sprachen sprechen. Die einen waren immer schon Schweizer und haben dann die Schweiz verlassen. Andere waren nie Schweizer, kamen aber hierher und zählen jetzt auch zur Schweizer Literatur. Die Erkenntnis, die ich letztlich hatte: Es gibt natürlich die Schweizer Literatur nicht...
Die Heimat, das Weggehen, das Ankommen spielt bei den Autorinnen und Autoren eine grosse Rolle. Auch Sie haben die Erfahrung mit Heimat, mit Weggehen und Ankommen, gemacht. Sie sind in Zürich geboren und schon früh ins Ausland gegangen, haben die letzten Jahrzehnte in Österreich, Deutschland und der Schweiz gearbeitet. Wie war das Weggehen für Sie?
Ich hatte gar nicht das Gefühl, dass ich weggehe. Ich hatte nur das Gefühl, ich gehe woanders hin, nicht dass ich etwas verlasse. Die Erinnerungen und Eindrücke nehme ich ja mit.
Heute leben Sie Brandenburg. Was finden Sie hier, was die Schweiz Ihnen nicht bieten kann?
Weite, Möglichkeiten. Die Dörfer in Brandenburg kämpfen darum, nicht verlassen zu werden, Nachwendeprojekte stehen verwaist und als Ruinen da… In der Schweiz verteidigt jeder was er hat bis auf die Klauen und Zähne. Das ist jetzt wieder deutlich geworden: Die Schweiz erwartet niemanden, das nennen sie jetzt «Dichtestress». In Brandenburg ist es umgekehrt, und das empfinde ich als extrem befreiend.
In einem Interview haben Sie sich einmal für die direkte Demokratie ausgesprochen und auch dafür plädiert, sie in Deutschland einzuführen. Jetzt nach der Einwanderungsinitiative – bleiben Sie dabei?
Ich bin immer noch für die direkte Demokratie. Wenn die Schweizer fremdenfeindlich sind, dann hilft es nichts, wenn man sie es einfach nicht sagen lässt. Man muss damit umgehen. Die Schweizer waren auch gegen den Eintritt in die EU. Das fand ich damals falsch, und die Regierung auch. De facto ist die Schweiz inzwischen in der EU – den Schweizer Franken einmal ausgenommen. Das heisst, man hat den Volkswillen, einfach weil er einem falsch erscheint, nicht ernst genommen.
Ich glaube, das Ergebnis der jüngsten Abstimmung, das die Schweiz in einen Schrebergarten verwandeln wird, ist das Ergebnis dieses Nicht-ernst-nehmen. Ich finde die direkte Demokratie immer noch richtig, weil das Volk damit den Regierenden zeigt, wie es tickt.
Sie sind Schauspieler und Moderator, haben im Theater, in Kinofilmen und im Fernsehen mitgewirkt. Sie waren für den Grimme-Preis nominiert, haben den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt moderiert, haben sich mit Ihrer saloppen Art aber auch immer heftiger Kritik ausgesetzt. Seit 2007 moderieren Sie in der ARD die Sendung «ttt» – es gibt kaum einen Fernseh-Profi mit einer so langjährigen Erfahrung wie Sie. Haben Sie nicht langsam genug?
Das klingt jetzt natürlich toll, aber es gab auch ganz schreckliche Pausen. Ich habe mir mit Anfang 20 vorgenommen, nie wieder fest angestellt zu sein. Das hat den grossen Vorteil, dass man nie wieder fest angestellt ist – aber gleichzeitig den grossen Nachteil, dass man oft Existenzsorgen hat.
Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, als es einfach hiess: Kühlschrank leer, Miete überfällig, Telefon klingelt nicht, Perspektive Null. Das steckt fast wie ein Trauma in mir. Wenn also Leute finden, sie zahlen mir Geld dafür, dass ich für sie was tue, dann werde ich den Teufel tun, dieses Privileg auszuschlagen.
Aber auch ich habe natürlich ein Ablaufdatum – und bis dahin hoffe ich, dass mein Bauernhof so gross geworden ist, dass ich nicht die Existenzängste des nicht-klingelnden Telefons habe, sondern mich auf den Traktor schwingen kann und auch zufrieden bin.
Im letzten Jahr haben Sie Ihren Geburtsnamen Dieter in Max umbenannt. Wenn Sie zurückblicken auf Ihre erste Lebenshälfte als Dieter – was war Ihr wichtigster Moment?
Rückblickend war vielleicht die Entscheidung, die Schauspielschule zu besuchen, prägend. Eine Entscheidung, die ich gar nicht selber getroffen habe. Meine Mutter sah mich schon als Violonisten Karriere machen. Da entdeckte ich eines Tages als 17-jähriger in der Zeitung ein Inserat, man könne sich testen lassen, ob man schauspielerische Qualitäten habe. Mir hatten Schulaufführungen in meiner Jugend immer Spass gemacht, also ging ich hin. Später stellte sich heraus, dass dieser «Eignungstest» eine Art Vor-Test für die Zulassung an der Schauspielschule war… Aber das erzähle ich Ihnen beim nächsten Mal.