Gleich zu Beginn der Ausstellung «Ulysses von 100 Seiten» hängt ein Plakat. Es zeigt Marilyn Monroe, auf ihrem Schoss den «Ulysses» aufgeschlagen. Ob der Schauspielstar den Jahrhundertroman tatsächlich gelesen hat?
«Ich denke schon», sagt Ursula Zeller, Co-Kuratorin der «Ulysses»-Ausstellung im Zürcher Museum Strauhof. Monroe habe sich einmal dahingehend geäussert, dass sie das Buch vier Monate lang gelesen habe. Und dass sie die Lektüre schwierig gefunden habe, ergänzt Zeller.
Drei Figuren, ein Tag
Damit befand sich Monroe in bester Gesellschaft. Dabei ist die Geschichte von «Ulysses» eigentlich schnell erzählt. Da sind die drei Hauptfiguren Leopold Bloom, seine Frau Molly und der Lehrer und angehende Schriftsteller Stephen Dedalus. Sie alle erleben einen einzigen Tag, den 16. Juni 1904 in Dublin.
Sie frühstücken, man trifft sich an einem Begräbnis, streitet in einem Pub über Nationalitäten und Judenhass. Ein wütender Bürger wirft dabei Bloom eine Biskuitdose an den Kopf. Ein Seitensprung seiner Frau beschäftigt Leopold Bloom den halben Tag lang, bis spät in der Nacht alle erschöpft ins Bett fallen.
Biskuitdose und Zitronenseife
Fast 1000 Seiten, verteilt auf 18 Kapitel, füllen die Begegnungen und Gedanken der drei Figuren an diesem einen Tag. Nicht der Plot ist also die Herausforderung beim Lesen, es ist die Sprache. In der Ausstellung hängen kurze Kostproben in grosser Schrift den Wänden entlang.
Unausweichliche Modalität des Sichtbaren. Zumindest dies, wenn nicht mehr gedacht, durch meine Augen.
Diese Zitate an den Wänden führen durch Leopold Blooms Tag. Ergänzt werden sie mit Objekten, die James Joyce im Roman bis ins Detail beschreibt. Die Biskuitdose, eine Zitronenseife, die Bloom den ganzen Tag in seiner Manteltasche mit sich herumträgt, und eine Schnurrbarttasse, ein Geschenk seiner Tochter. Mit dieser Tasse bleibt auch der grösste Schnurrbart beim Trinken trocken.
Arbeitsinstrument Adressbuch
Auch in der Ausstellung zu sehen: ein 2000 Seiten dickes Original-Adressbuch von Dublin aus dem Jahre 1904. «Das wichtigste Arbeitsinstrument für den Roman», sagt Ursula Zeller, die Co-Kuratorin. James Joyce habe es mitgenommen, als er in Triest und lange Zeit in Zürich an «Ulysses» schrieb.
An diesem Adressbuch orientierte sich James Joyce, wenn er seine Figuren durch Dublins Strassen ziehen liess. Auch Leopolds und Mollys Wohnadresse überliess James Joyce nicht dem Zufall.
Er liess sie in einem Haus an der Eccles Street 7 wohnen, das gemäss seinem Adressbuch leer stand. James Joyce habe also darauf geachtet, so Zeller, dass niemand das Dach über dem Kopf verliere, wenn da zwei fiktive Figuren einziehen.
Schöner Schnelldurchlauf
Die Ausstellung gibt einen Einblick in den Roman. Originalnotizen verraten James Joyces chaotische Arbeitsweise. Verschiedene Zeitungszitate zeigen auf, wie sich nach den anfänglichen Skandalen die Kritiken und Interpretationen in den vergangenen 100 Jahren gewandelt haben.
Die Ausstellung ersetzt die Lektüre nicht, sagt Ursula Zeller. «Aber wenn man einen Schnellkurs sucht, um auch auf einer Party ein bisschen mitreden zu können, ist unser Gang durch ‹Ulysses› wahrscheinlich recht nützlich.»
Bestenfalls animiert die Ausstellung zum nächsten Anlauf, das berühmte Buch vielleicht doch noch zu Ende zu lesen.