SRF: Carlos Ruiz Zafón, im Zentrum ihrer Buch-Reihe steht der Friedhof der vergessenen Bücher. Ein geheimnisvoller Ort mitten in Barcelona, zu dem nur Eingeweihte Zutritt haben. Wofür steht dieses Bild?
Carlos Ruiz Zafón: Das war tatsächlich die erste Idee, die ich für diese Serie gehabt habe. Dieses Bild einer fantastischen Bibliothek, einer Stadt ganz aus Büchern. Für mich steht dieses Bild für das Wissen, das Erinnern, die Identität, für all das, was uns zu Menschen macht und was wir vergessen oder durch Dinge ersetzt haben, die uns mittlerweile wichtiger erscheinen.
Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Das war Ende der 1990er-Jahre. Ich lebte damals bereits seit einigen Jahre in Kalifornien und besuchte immer diese wunderbaren «Secondhand bookstores», die es in den USA gibt. Riesige Antiquariate, die sich wie Friedhöfe anfühlen, weil dort nie jemand ist.
Trotzdem findet man dort Schätze, die Quintessenz dessen, was die Menschen an Wissen und Schönheit hervorgebracht haben. Aber man geht da durch und hat das Gefühl, niemanden interessiert das. Dieser Gedanke hat mich zum Bild mit dem Friedhof gebracht und alles Weitere ausgelöst.
Ein weiteres Bild, das in allen Bänden vorkommt, ist das des Labyrinths. Überall gibt es Labyrinthe, Parallel-Welten und Orte, in denen man sich verlieren kann. Das geht bis hin zur erzählerischen Struktur. Ist das Absicht?
Ja. Das Ganze strebt danach, ein Labyrinth zu sein. Ein Labyrinth von
Geschichten, Ebenen und Strukturen. Es erinnert an russische Puppen, bei denen immer eine Puppe aus der anderen herauskommt: immer noch eine und noch eine. So ist dieses Bild des Labyrinths, des Friedhofs der vergessenen Bücher, auch ein Bild für die Struktur dieser Romane.
Was mich an Barcelona interessiert hat, war nicht der Versuch, die Stadt abzubilden, sondern aus ihr eine Figur zu machen.
Auch Barcelona ist nicht einfach als Hintergrund zu verstehen. Welche Rolle spielt die Stadt?
Was mich an Barcelona interessiert hat, war nicht der Versuch, die Stadt abzubilden, sondern aus ihr eine Figur zu machen. Also nahm ich das reale Barcelona, seine Geschichte und sein Gesicht, und machte daraus eine grosse Stilisierung. Ich erschuf es völlig neu als eine Art Traumwelt, wie sie mir erscheint: ein gotisch-barockes, dunkles, geheimnisvolles Barcelona, das meiner Geschichte entspricht und in dem alles, was passiert, vom Wetter übers Licht bis zum Geruch eine Funktion hat.
Welche Rolle spielt die Literatur in ihren Romanen?
Sie ist selber zentrales Thema. Darum ist die Serie auch aufgeteilt in ein Buch über einen Leser, ein Buch über einen Schriftsteller, ein Buch über eine Figur und in eine Kombination von allem im letzten Band, in dem der Leser eingeladen wird, hinter die Fassade zu schauen und zu sehen, wie alles funktioniert.
Ich präsentiere dem Leser eine Geschichte und zeige ihm gleichzeitig, wie sie gemacht ist und warum.
Ich finde es sehr interessant, sich in der Literatur Gedanken über ihre Funktionsweise zu machen. Darum gibt es bei mir auch Dialoge, in denen es darum geht, wie man Dialoge schreibt. Ich präsentiere so dem Leser eine Geschichte und zeige ihm gleichzeitig, wie sie gemacht ist und warum. Wie eine Brücke, über die man einen Fluss überqueren kann und gleichzeitig sieht, wie sie gebaut ist.
Es scheint mir, Sie wissen sehr genau, für wen und warum Sie schreiben.
Ich denke, wir lesen Romane, weil es uns Vergnügen bereitet. Ein heutiges Publikum hat so viele Alternativen. Also muss man um es kämpfen und man muss es verdienen. Es reicht nicht, einfach zu denken, dass das, was man tut gut oder wichtig ist. Nein, man muss sich sein Publikum verdienen.
Gleichzeitig muss man ein Thema haben, das einen selber interessiert. Man kann kein Publikum erreichen, wenn man selber nicht an seine Sache glaubt. Man braucht etwas, was einem entspricht, und womit man hoffentlich auch andere erreicht.
Sie haben viele Menschen erreicht. Wie schätzen Sie Ihren Erfolg ein?
Die Leute denken immer, Erfolg komme über Nacht. Das stimmt nicht. Bei mir auf alle Fälle nicht. Erfolg ist die Folge von Arbeit und davon, sein Handwerk zu lernen. Das ist überhaupt das Wichtigste: dass man sein Handwerk beherrscht.
Shakespeare ist ein gutes Beispiel: Viele seiner Geschichten hat er gar nicht selber erfunden. Aber er nimmt die Dinge, die da sind und bearbeitet sie mit so viel Können und so einem meisterlichen Wissen darüber, wie man etwas richtig gut macht, dass seine Stücke Standard geworden sind. Das sollte das Vorbild sein für alle, die versuchen, etwas Kreatives zu machen.
Aber letztlich geht es darum, sein Ding zu finden. Dass man am Schluss des Lebens sagen kann: Ich habe mein Leben mit einer bestimmten Sache verbracht, und es hat sich gelohnt. Für mich und für ein paar andere auch. Man hinterlässt etwas, das anderen Leuten etwas gebracht hat, damit etwas bleiben kann. Etwas Unterhaltsames, etwas Fesselndes, etwas Erhellendes. Was auch immer.
Das Gespräch führte Michael Luisier.
Sendung: Radio SRF 1, BuchZeichen, 26.03.2017, 14:06 Uhr.