Es begann mit einem Zufall. Sie habe in der Oper La Fenice in Venedig mit einem befreundeten Dirigenten über einen anderen Dirigenten gesprochen, den sie beide nicht mochten, erzählt Donna Leon. «Ich könnte ihn umbringen», habe ihr Bekannter gesagt. Sie habe antwortete: «Ich mache es – in einem Roman!»
Die Idee zu den Geschichten rund um Commissario Brunetti war geboren. «Es war», erinnert sich Donna Leon schmunzelnd, «wie wenn man stolpert und die Treppe hinunterfällt.» Damals ahnte sie nicht, dass aus dem ermittelnden Kommissar ein Publikumsliebling werden würde.
Gute Seiten, schlechte Seiten
Brunetti als Figur ist wohl so erfolgreich, weil er nahbar und glaubwürdig ist. Die Leserinnen und Leser können sich mit ihm identifizieren. Der Commissario sei ein Mann, der nicht viele schlechte Seiten habe, sagt Donna Leon. «Und diese schlechten Seiten gehen mich nichts an», ergänzt sie. «Das ist seine Sache.»
Nach Brunettis guten Seiten gefragt, kann Donna Leon hingegen gleich eine ganze Menge aufzählen. Er sei klug, gebildet, kultiviert. Er interessiere sich für Geschichte, höre Musik. Er habe zwar einen lausigen Job, sei aber empathisch. Er interessiere sich für die Menschen und verstehe sie.
Gepflegt und glücklich
Im Vergleich mit anderen fiktiven Kommissaren oder Inspektoren fällt auf: Brunetti hat keine offensichtlichen psychischen oder seelischen Verletzungen. Er ist niemals ungepflegt. Er hat ein erfülltes, glückliches Familienleben.
Der Grund für diese Lebensumstände Brunettis war ein eigennütziger. Sie habe gewusst, dass sie mit diesem Typen viel Zeit verbringen würde, sagt Leon. «Ich wollte keinen drogen- oder alkoholkranken Ermittler, der ungepflegt herumläuft. Zum Glück habe ich das so gemacht! Stellen Sie sich vor – 30 Jahre mit einem anstrengenden Typen. Das hätte ich niemals ausgehalten!»
Traummann Brunetti?
Tatsächlich verbringt Donna Leon auch heute noch gerne Zeit mit Commissario Brunetti. Und mit den Fällen, die er gelöst hat. Sie erinnere sich oft an Szenen aus früheren Büchern und müsse manchmal laut lachen, wenn sie daran denke, wie sich manche Figuren als Besserwisser aufspielten.
Brunetti selbst, sagt sie, habe Qualitäten, die sie an einem Mann sehr schätze. Gerade auch in Bezug auf Frauen. Er sei höflich und mache ihnen Komplimente. Er interessiere sich für sie und höre zu, was sie sagten.
Die Frauenfrage
Donna Leon ist eine überzeugte Feministin. Wäre es nicht naheliegend gewesen, eine Frau zur Heldin ihrer Serie zu machen? «Vor 30 Jahren waren die Dinge anders. Starke Frauen waren noch keine Hauptfiguren in Kriminalromanen.»
«Deshalb dachte ich damals, es wäre unrealistisch, in meinen Büchern eine Frau zur Hauptfigur zu machen», sagt sie. Frauen mit Rückgrat, Bildung und einer eigenen Meinung gibt es in den Brunetti-Krimis trotzdem einige. Zum Beispiel Brunettis Ehefrau Paola.
Donna Leon hat nun 30 Jahre mit Commissario Brunetti verbracht. Denkt sie daran, ihn in die Pension zu schicken? Über ihn zu schreiben, sagt Donna Leon, mache ihr immer noch viel Spass. Aber wenn sie einmal das Gefühl bekommen sollte, die Geschichten seien nicht mehr lesenswert, höre sie auf. «Und die Welt», sagt Donna Leon, «wird trotzdem noch jeden Morgen erwachen.»