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«Die Wahrheit über Eva»: Wie liest sich das Buch?
Aus Kultur-Aktualität vom 18.11.2020. Bild: Getty Images / Heritage Images
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Buch «Die Wahrheit über Eva» Am Anfang war die Gleichheit von Mann und Frau

Viel wurde bereits geforscht und gesagt zur sozialen Ungleichheit der Geschlechter. Eine bemerkenswerte Perspektive nehmen nun der Evolutionsbiologe Carel van Schaik und der Historiker Kai Michel ein in ihrem neuen Buch «Die Wahrheit über Eva».

Die beiden Erfolgsautoren Carel van Schaik und Kai Michel durchforsten zwei Millionen Jahre Menschheitsgeschichte, um herauszufinden, wann und wie die Ungleichheit von Männern und Frauen erfunden wurde. Einen besonderen Blick werfen sie dabei in die Bibel.

Wie schon in ihrem letzten Buch «Tagebuch der Menschheit» sind Kai Michel und Carel van Schaik überzeugt, dass die biblischen Geschichten auch Auskunft geben über die kulturelle Evolution.

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Die Bibel neu gelesen - als Tagebuch der Evolutionsgeschichte
aus Kontext vom 10.11.2016. Bild: Reuters
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Punkto Gleichberechtigung finden sie insbesondere die Paradiesgeschichte aufschlussreich.

Die biblische Eva

«Wenn ich als Affenforscher und Evolutionsbiologe die Genesis lese», sagt der Niederländer van Schaik, «bin ich erstaunt, dass Adam und Eva ausgerechnet mit der Landwirtschaft, mit dem Bauersein bestraft werden.»

Die Bibel stellt damit genau jenen Moment an ihren Anfang, als die Jäger und Sammlerinnen vor 12'000 Jahren sesshaft wurden. Anders gesagt: Die Jägerinnen und Sammler hatten offenbar ein paradiesisches Leben, bevor sie Ackerbau betrieben und Bäuerinnen wurden.

Die biologischen Evas

Tatsächlich lebten die Frauen der Jäger und Sammler-Gemeinschaften gleichberechtigt mit den Männern: «Das waren starke und selbstbewusste Frauen», sagt Carel van Schaik. Sie pflegten Netzwerke mit anderen Frauen oder verschleierten Vaterschaften aufgrund ihres polyandrischen Sexuallebens.

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Die Wahrheit über Eva
aus Perspektiven vom 14.11.2020. Bild: SRF / Sébastien Thibault
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So zeigten sich die Männer kooperativ und pflegten ihrerseits Freundschaften mit anderen Männern. Etwa wurde die Jagdbeute grosszügig geteilt. Füreinander sorgen und miteinander teilen war angesagt – und das über Jahrtausende hinweg.

Mit der Sesshaftigkeit kommen neue Probleme

Mit der Sesshaftigkeit und Landwirtschaft habe sich dieses friedliche und egalitäre Verhältnis geändert: «Denken Sie an produktives Land, an Vorräte und Häuser – da entstehen plötzlich Begehrlichkeiten», sagt Carel van Schaik. Statt Teilen ist jetzt Verteidigung angesagt und «bis auf wenige Ausnahmen war Verteidigung immer schon Männersache.» Es kommt zu Gewalt und es entsteht soziale Ungleichheit: Einige Männer besitzen viel und führen, andere haben nichts.

Für die Frauen bringt die Sesshaftigkeit eine neue Arbeitsbelastung und gesundheitliche Probleme mit sich. Etwa weil die Geburtenrate zunimmt, wie man das auch heute bei Jägerinnen und Sammlern beobachten könne, die sesshaft werden, ergänzt Carel van Schaik.

Männer setzten sich durch

Die männerdominierte Gesellschaftsordnung zeige sich auch bei den religiösen Vorstellungen. Carel van Schaik: «Wir sprechen hier vom Widerspiegelungsprinzip, wenn etwa die Ahnen und insbesondere die Ahnen der Könige, zu Göttern werden». Sie sollten die weltliche Herrschaft legitimieren.

Diese männerdominierte Auffassung von Religion spitzt sich zu, als aus vielen Göttinnen und Göttern ein einziger Gott wird. Im Polytheismus haben Frauen noch religiöse Macht, insbesondere bei Ritualen zu Hause und in der Familie. Die beiden Autoren sprechen von der Alltagsreligion im Unterschied zur Herrschaftsreligion.

Im alten Israel will man nur noch einen einzigen Gott und seine Gesetze durchsetzen. Darum wird die «Alltagsreligion verteufelt und zum Aberglauben erklärt» fasst Kai Michel die Entwicklung zusammen.

Als das Christentum im 4. Jahrhundert zur Staatsreligion wird, wird die Frau «von Natur aus» schlecht. Kai Michel: «Da verbindet sich die christliche Lehre mit der griechischen, eindeutig misogynen Philosophie». Augustinus etwa einer der wichtigen Kirchenväter, entwickelt in dieser Zeit die Erbsündenlehre mit Eva als Schuldige für alles Übel.

Geschlechtergerechtigkeit liegt in unserer Hand

Es ist eine Fülle an Themen und Thesen, die im Buch «Die Wahrheit über Eva» vorkommen. Manches davon ist bereits bekannt, anderes ist neu. Bemerkenswert ist die interdisziplinäre Herangehensweise an das Thema Geschlechtergerechtigkeit: Selten liest man dazu etwas aus der Perspektive von Evolutionsbiologie und Kulturwissenschaft zusammen. Das ist erhellend.

Buchhinweis

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Carel van Schaik und Kai Michel: «Die Wahrheit über Eva. Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern». Rowohlt, 2020.

Eines wird bei der gut verständlichen Lektüre auf jeden Fall klar: Die soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist weder biologisch noch mit der Natur zu erklären, geschweige denn von Gott gewollt. Vielmehr ist sie Produkt der kulturellen Evolution und damit veränderbar.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 18.11.2020, 17:20 Uhr

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