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Rutger Bregman: Vergeuden wir als Gesellschaft unser Talent?
Aus Kultur-Aktualität vom 18.11.2024. Bild: Frank Ruiter
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Buch «Moralische Ambition» Weg mit «Bullshitjobs»: Nutzen wir unser Talent für echten Wandel

Der Historiker Rutger Bregman will mit seinem neuen Sachbuch die «radikalen Super-Nerds» für die Weltrettung gewinnen.

«Nichts wird in der heutigen Zeit so fahrlässig verschwendet wie Talent.» Davon ist Rutger Bregman überzeugt und zitiert eine wissenschaftliche Studie: Etwa 25 Prozent der Menschen in wohlhabenden Ländern sagen von sich, dass sie in einem sozial nutzlosen Beruf arbeiten – «Bullshitjobs», kommentiert Bergman trocken.

Gemeint sind Menschen, die streiken können, ohne dass sich der Lauf der Dinge ändert: Wirtschaftsanwälte, Börsenmaklerinnen, Werbetreibende oder Influencerinnen. Dabei könnten wir es uns gar nicht leisten, so viel Talent ungenutzt zu lassen, schreibt der Niederländer in seinem Buch «Moralische Ambition».

Die Welt braucht talentierte Enthusiasten

«Während sich die Menschheit von einer brutalen Pandemie erholt, erleben wir zum ersten Mal seit Jahren wieder einen Anstieg des Hungers. Während Demokratie und Rechtsstaat ins Wanken geraten, sind mehr als hundert Millionen Menschen auf der Flucht.»

Porträt eines nachdenklichen Mannes mit Bart.
Legende: «Es ist nicht nur ein Buch, sondern auch eine Bewegung, die wir ins Leben rufen», schreibt Bregman auf Instagram. Frank Ruiter

Während ein Hitzerekord den nächsten jage, beschwöre man in den Klimawissenschaften die Notwendigkeit «der grössten und grundlegendsten Transformation» der Gesellschaft, so Bregman.

Moralische Ambition als Wegweiser

Um diese Herausforderungen zu meistern, reiche es nicht, auf Fleisch und Flüge zu verzichten, Online-Petitionen zu unterschreiben oder auf Demos zu gehen, glaubt der 36-Jährige. Es brauche moralische Ambition, also den «Willen, etwas zu bewirken und etwas zu hinterlassen, das wirklich zählt».

Video
Ist der Mensch wirklich gut, Rutger Bregman?
Aus Sternstunde Philosophie vom 14.08.2022.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 57 Minuten 19 Sekunden.

Beispiele findet der Historiker in den vergangenen Jahrhunderten: Er erzählt von Freiheitskämpferinnen, Quäkern, Erfinderinnen und Unternehmern, die die Welt zu einem besseren Ort gemacht haben. Geld und Macht seien dabei von Vorteil, aber nicht zwingend notwendig: «Denken Sie an die Abolitionisten, die gegen die Sklaverei kämpften, oder an die Suffragetten, die sich für das Frauenwahlrecht einsetzten. Waren sie die reichsten oder mächtigsten Gruppen ihrer Zeit? Nein. Aber sie haben die Welt verändert.»

Aus der Geschichte lernen

Schriftsteller Thomas Clarkson half bei seinem Kampf gegen den Sklavenhandel im England des 18. Jahrhunderts etwa eine neue Sichtweise, erklärt Bregman: Nicht das Leid der Schwarzen bewegte die Herrschenden zum Umdenken, sondern die Tatsache, dass bei den Überfahrten auf einem Sklavenschiff 20 Prozent der Besatzung, also weisse Seeleute, die Reise nicht überlebte.

Rutger Bregman: vom viralen Hit zum gefragten Zeitkritiker

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Der niederländische Historiker und Journalist Rutger Bregman ist erstmals 2019 beim Weltwirtschaftsforum in Davos aufgefallen: Dort forderte er auf einem Podium eine «echte Besteuerung für Reiche».

Das Video seiner Rede ging viral. In seinem Buch «Utopien für Realisten» (2019) plädierte er für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen. In «Im Grunde gut» (2021) schrieb er gegen die Annahme an, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, sondern grundsätzlich hilfsbereit und kooperativ sei.

Mit «Moralische Ambition» (2024) will er Menschen ermutigen, ihr Talent und ihren Enthusiasmus für die drängendsten Probleme unserer Zeit einzusetzen. Gemeinsam mit Mitstreitenden hat er auch eine «School of Ambition» gegründet.

Bregman fragt auch, warum die Menschen von Nieuwlande, einem niederländischen Dorf, in der Nazizeit so viele Jüdinnen und Juden bei sich versteckt haben: Nicht, weil sie mit ihnen befreundet waren oder zufällig ein grosses Haus besassen, sondern weil sie gefragt wurden. Es brauchte also eine Person, die den Anfang machte – eine Art Superspreader, der seine Mitmenschen ansteckte.  

Effekthascherisch oder effektiv?

Wie kleine Detektivgeschichten lesen sich diese historischen Begebenheiten: Sie beginnen provokant und offenbaren erst nach und nach, worauf der Autor hinauswill. Ein Stilmittel, von dem man als Leserin gelangweilt sein möchte, das einen aber doch immer wieder hineinzieht.

«Moralische Ambition» ist der Aufruf eines idealistischen Historikers zu mehr Miteinander, mehr Mut, mehr Risiko. Seinen Angang kann man als effekthascherisch oder überzeichnet abtun. Dass Bregman aber glaubhaft das Positive und Gute im Blick hat, ist gerade in der aktuellen Zeit nicht nur beruhigend, sondern auch ermutigend und mitreissend.

Buchhinweis

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Rutger Bregman: «Moralische Ambition». Rowohlt, 2024.

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Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 18.11.2024, 17:20 Uhr

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