Burma, Mitte der 1960er-Jahre. Wendy Law-Yone ist 17 Jahre alt. Ihr Vater sitzt im Gefängnis, weil er die erste unabhängige Zeitung des Landes leitete. Niemand weiss, ob er wieder freikommt. Seine Familie steht unter Beobachtung.
Wendy darf als Tochter eines politischen Gefangenen nicht studieren. Doch dann die Wende: «Durch einen Glücksfall hat der damalige Direktor des Goethe-Instituts von dieser Ungerechtigkeit gehört und bot mir einen Platz in seiner Deutschklasse an.»
Der Sick Joke im «Besuch der alten Dame»
Im Goethe-Institut in Rangun stürzt sich Wendy Law-Yone ins Studium der deutschen Sprache und Literatur. In der Institutsbibliothek stösst sie auf Dürrenmatts Theaterstück «Der Besuch der alten Dame.»
Sie liest es in einem Rutsch durch und ist fasziniert vom abgründigen Witz der Hauptfigur Claire Zachanassian. «Ich liebte es, wie ihre Bösartigkeit die Form eines üblen Scherzes annahm. Sick Joke, sagt man auf Englisch.»
Faszination Rache
Claire Zachanassian nimmt Rache an einem früheren Liebhaber, weil ihr Unrecht geschehen war. Dieses Motiv greift Wendy Law-Yone später in ihrem Roman Irrawaddy Tango auf. Mittlerweile lebt sie im Exil.
«Wie Claire Zachanassian, die im Dorf ihrer Kindheit schockiert, um einen Todesstoss zu versetzen, geht auch die Protagonistin meines Buches in eine Heimat zurück, wo ihr auch ein grosses Unrecht getan wurde.»
Vergessen ist nicht die Antwort
Das Thema der Rache treibt Wendy Law-Yone um. Sie erkennt: Rache ist nie süss.
Dennoch: Der Wunsch nach Rache sei ein bleibender menschlicher Instinkt, sagt Wendy Law-Yone. Und wie kann man diese beiden Wahrheiten in Einklang bringen? «Ich glaube, die einzige Möglichkeit besteht darin, das begangene Unrecht anzuerkennen. Vergessen ist nicht die Antwort auf Vergeben.»
Stattdessen ist Wendy Law-Yone überzeugt: Nur durch das Erinnern kommt man gegen Rachelust an. Sowohl im Persönlichen wie im Politischen.
Der burmesische Humor ist schwarz
Bis heute setzt sie sich schreibend mit der Erfahrung des Exils und den politischen Ereignissen in Burma auseinander. Nicht bitter, sondern mit feiner Ironie. Das zeigt auch ihr neues Buch. Die Texte darin hat sie 2015 geschrieben. Damals trat sie die Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur an der Universität Bern an.
Ihren Sinn für dunklen Humor verbindet sie immer noch mit Dürrenmatts Werk. Aber auch mit ihrer Heimat. «Schwarzer Humor entspricht voll und ganz dem burmesischen Humor. Wie können wir die schrecklichen Absurditäten des Unglücks anders ertragen als durch Lachen?»
Heute ist sie Tag und Nacht über Social Media mit jungen Burmesen verbunden, die gegen die Militärdiktatur protestieren. Es gibt eine moralische Verpflichtung, nicht zu verzweifeln, sagt sie. Jeden Tag riskieren so viele junge Leute in Burma buchstäblich ihr Leben.
Wir können nicht sagen, es ist hoffnungslos. Wir müssen hoffen: «We must hope. That’s my feeling.»