Ein Roman wie eine Explosion: Diaty Diallos Debütroman «Zwei Sekunden brennende Luft» schildert den Alltag von fünf Jugendlichen, die unter Extrembedingungen in der Banlieue aufwachsen. Polizeigewalt gehört zu ihrem Alltag – und doch sind sie ganz normale Jugendliche, die sich verlieben.
SRF: Diaty Diallo, welchen Bezug haben Sie zur Pariser Banlieue?
Diaty Diallo: Ich bin eine Banlieusarde, wie man sagt. Ich bin in der Peripherie von Paris aufgewachsen, wie viele Menschen auch. In Räumen, wo nicht viel geschieht. Ausser, dass wir viele sind, die dort leben.
Schauplatz in Ihrem Roman ist ein Betonplatz, mit nur wenig Grün, umgeben von anonymen, grauen Wohnblocks. Warum?
Was macht einen Platz aus? Was sind die unterschiedlichen Funktionen eines Platzes? Welche verschiedenen sozialen Schichten, unterschiedlichen Ethnien begegnen sich darauf? Diese Fragestellungen haben mich interessiert und entlang derer erzähle ich die Geschichte.
Sie erzählen die Geschichte von fünf Jugendlichen mit arabischem und afrikanischem Hintergrund. Sie hängen auf einem solchen Platz ab, haben Spass, hören Musik. Aber ihr Leben ist auch geprägt durch tägliche Polizeikontrollen, Gewalt, Rassismus. Bilden Sie damit die Realität ab?
Ich habe versucht, die Polizeigewalt zu beschreiben, die junge nicht-weisse Männer und insbesondere Schwarze und Araber der Unterschicht trifft. Jugendliche, die übermässig sichtbar sind. Weil die Wohnung zu eng ist oder weil … na ja, es gibt eine ganze Reihe von Gründen.
Es gibt eine neue Generation von Jugendlichen, die sich auflehnt.
Sie können sich nicht vorstellen, wie banal das ist, was ich eigentlich erzähle. Sie müssen einfach mal herumlaufen und mit Leuten reden, dann werden Sie verstehen. Sich hinsetzen, Shisha rauchen, sich abtransportieren lassen samt Shisha und Klappstühlen, all das passiert jeden Abend, jeden Tag. Das ist die Realität.
In Ihrem Roman, der vergangenen Herbst in Frankreich erschienen ist, wird ein 16-Jähriger von einem Polizisten erschossen. Sie nehmen damit sozusagen die tragischen Ereignisse dieses Sommers vorweg: Als der 17-jährige Nahel bei einer Verkehrskontrolle erschossen und dabei gefilmt wurde.
Es gibt Jugendliche, die in Frankreich nicht die gleichen Rechte haben wie andere, und die man viel leichter erschiesst als andere – einfach so und kaltblütig. Wir haben das Video gesehen, das vor einigen Wochen veröffentlicht wurde. Da wird ohne Zögern abgedrückt.
Ist diese Gewalt der Motor Ihres Schreibens?
Ich schreibe in einem Kontext, in dem es seit über 40 Jahren Polizeigewalt in den Quartieren gibt. Ich schreibe mit all diesen Toten im Hintergrund. Mit all den Toten, die es noch geben wird. Dieser Umstand ist deprimierend.
Jetzt gibt es eine neue Generation von Jugendlichen, die sich auflehnt. Jugendliche, die manchmal sehr jung sind. Das heisst, für sie ist der Tod von Nahel vielleicht ihr erster symbolischer Tod durch Polizeigewalt. Wie schrecklich ist das denn!
Für meine Generation waren es Zyed und Bouna, für sie ist es Nahel. Das ist schlimm! Dass sie diese Gewalt schon von klein auf erfahren: Denn eigentlich sind es Dinge, die sich irgendwann auswirken. Das geht ins Blut über. Und das ist der Motor des Schreibens.
Das Gespräch führte Annette König.