Wir befinden uns im Jahre 1873: Harvard-Student William Andrews kehrt der Elite-Uni den Rücken und fährt in der Kutsche nach Kansas. Er will sich in der Wildnis des Mittleren Westens als Pionier versuchen. Dazu inspiriert hat ihn der Philosoph Ralph Waldo Emerson, der behauptet: Nur in der ursprünglichen Natur kann der Mensch zu sich selber finden.
Hasardeure und Glückssucher
So gelangt William nach «Butcher's Crossing», einem Nest irgendwo in der Prärie. Dort wimmelt es von Hasardeuren und Glückssuchern, von rauen Männern, die so ganz anders sind als der verwöhnte Sohn aus guter Bostoner Familie.
Einer von ihnen, Mr. Miller, verspricht William gegen gutes Geld ein einmaliges Erlebnis: Er kenne ein unberührtes Tal, wo noch riesige Büffel-Herden grasen. Dort schlage das Herz jedes Jägers höher.
Eine Tragödie bahnt sich an
Also zieht der ehemalige Harvard-Student mit drei Cowboys und einem Ochsengespann los, und gerät schon in den ersten Tagen an seine Grenzen; das stundenlange Reiten, die Hitze und der Durst setzen ihm zu. Aber die Strapazen scheinen sich gelohnt zu haben: Tatsächlich erreichen sie das magische Hochland. William, der glaubt, im Paradies angekommen zu sein, weiss nicht, dass er bereits in der Vorhölle gelandet ist. Denn seine Begleiter wittern das grosse Geschäft: Büffelfelle sind in Mode. Die Tragödie nimmt ihren Lauf.
Beiträge zum Thema
- «Stoner» von John Williams («Literaturclub», 10.09.2013) «Stoner» von John Williams («Literaturclub», 10.09.2013)
- «Stoner» von John Williams («52 beste Bücher», 20.10.2013) «Stoner» von John Williams («52 beste Bücher», 20.10.2013)
- «Stoner», Schikanen im College-Alltag («BuchZeichen», 10.11.2013) «Stoner», Schikanen im College-Alltag («BuchZeichen», 10.11.2013)
Die Sprachgewalt von John Williams
Auch wenn vom Setting her der 1960 entstandene Roman «Butcher's Crossing» eine völlig andere Geschichte erzählt als «Stoner» (1965), ist doch die Handschrift von John Williams unverkennbar: Einmal mehr gerät man schon auf der ersten Seite in den Sog seiner bildreichen, sinnlichen Sprache. Man spürt regelrecht den trockenen Staub auf der Zunge und den harten Sattel unter dem Hintern. Man sieht die Weite der Prärie und die Angst in den Augen der Büffel. Und man ahnt pausenlos: Diese Männer reiten einer Katastrophe entgegen.
«Butcher's Crossing» enthält alle Ingredienzen eines klassischen Western. Und doch macht John Williams etwas Neues daraus, denn er verzichtet auf jegliche Marlboro-Klischees und Cowboy-Romantik. Stattdessen zeigt er die reale Wirklichkeit hinter dem Mythos des Wilden Westens: wie schwierig die Existenz jener rastlosen Männer war, und warum diese glorifizierte Welt schon längst untergegangen ist.
Eigene Erinnerungen eingebracht
John Williams, der 30 Jahre als Professor für Literatur und «Creative Writing» in Denver unterrichtete, hat – wie schon in «Stoner» – auch in diesem Roman eigene Erinnerungen eingebracht. Er ist auf einer Farm in Texas aufgewachsen und hat als junger Mann Radiosendungen für die ländliche Bevölkerung moderiert. Er kannte also die Lebensbedingungen jener Menschen.
Auch wusste er, dass der «Western» – dieses ur-amerikanische Genre – beim Publikum einen Drang nach Freiheit und Abenteuer befriedigt. Nur so ist die ungebremste Popularität der Filme und Groschenromane zu erklären.
John Williams nimmt als Autor dieses Bedürfnis der Leserinnen und Leser ernst, – aber ebenso fühlt er sich verpflichtet, bei der Wahrheit zu bleiben. Dass diese Kombination bestens funktioniert, beweist er mit «Butcher's Crossing».