Der Blick in das Bücherregal einer Thalia-Filiale in Berlin irritiert: Hier findet sich nur wohlwollende Literatur über China – über die Tradition des Landes, Lyrik oder Kinderbücher. Nicht fehlen darf auch «China regieren» – die Übersetzung von Staatspräsident Xi Jinpings gesammelten Reden.
Die grossen Abwesenden hingegen sind Titel, die sich kritisch mit Chinas Politik auseinandersetzen. Mit der Situation der Uiguren etwa, jener Taiwans oder Tibets. Stellt sich die Frage: Wie kommt so ein China-Sortiment zu Stande?
Gemietete Regale
Von Thalia gibt es nur eine schriftlich Stellungnahme. Vor allem als Service für die wachsende chinesische – bzw. China-Interessierte – Community teste man in Deutschland eine Zusammenarbeit mit China Book Trading ein chinesisches Buchsortiment, heisst es auf Nachfrage von SRF. «Unsere chinesischen Partner schlagen Bücher vor, die vom Thalia Sortimentsmanagement geprüft und freigegeben werden.»
Gemietete Regale also. Nur: Wer ist der Mieter? Wer steckt hinter «China Book Trading»? China Book Trading gehöre zur China International Publishing Group, weiss Ralph Weber, Professor am Europainstitut der Universität Basel mit Spezialgebiet China-Politik, und sei letztlich an das Zentralkomitee der kommunistischen Partei Chinas gebunden.
Verdacht: Propaganda
Kein Zufall also, dass auf den entsprechenden Bücherregalen ein geschöntes China-Bild präsentiert wird. Stehen in deutschen Thalia-Filialen chinesische Propagandaregale?
Er kenne die genaue Vereinbarung zwischen «China Book Trading» und Thalia nicht, sagt Ralph Weber. «Aber wenn in einer Buchhandlung ein ganzes Regal mit ausschliesslich positiver Literatur über ein Land steht und kritische Titel fehlen, kann man zu Recht von einem ‹Propagandaregal› sprechen.»
Wie diese Vereinbarung aussehe und ob man wisse, mit wem man es zu tun haben, dazu wollte sich Thalia nicht äussern.
Offene Nachfragen
Ob wissentlich oder nicht: Macht Thalia sich zum Komplizen des chinesischen Staates? «Man könne auch ein Komplize sein, ohne zu wissen, was man tue», meint Ralph Weber. «Wieviel Thalia wirklich weiss oder hätte wissen müssen, diese Frage muss Thalia beantworten.»
Thalia hüllt sich zu diesen konkreten Nachfragen in Schweigen. Klar ist: Die Buchhandlungskette bietet Hand in Form von Regalfläche für eine Charme-Offensive des chinesischen Staates. Allerdings nur in drei deutschen Filialen und zeitlich begrenzt, wie Thalia schreibt.
Kritischen Stimmen den Platz wegnehmen
Wie gross kann die Wirkung einer solchen vermuteten Image-Kampagne denn überhaupt sein? «Solche chinesischen Einflussnahmen fokussieren oft nur auf kleine, unscheinbare Angelegenheiten. Dabei handelt es sich aber nicht einfach um Einzelfälle, sondern um ein Muster», erklärt Ralph Weber.
Die Wirkung sei nicht zu unterschätzen. Weber spricht von einer «punktuellen Unterwanderung» mit dem Ziel, das Image Chinas im Westen aufzupolieren: Es gehe darum, eine positive Geschichte Chinas zu erzählen und kritischen Stimmen den Platz wegzunehmen. «Oder sie eben in einer Buchhandlung, auf die unteren Ränge zu verweisen.»
Thalia schreibt in ihrer Stellungnahme: «Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema China findet in unseren Buchhandlungen über kuratierte Thementische statt und wird durch den Test nicht beeinflusst.»