Zwei Jahre ist es her, seit «Harlem Shuffle» erschienen ist: Colson Whiteheads erster Roman über das New Yorker Viertel Harlem – die Geschichte des Schwarzen Möbelhändlers Ray Carney, der wider Willen zum erfolgreichen Hehler wird und immer tiefer in die kleinkriminelle Szene rutscht.
Der neue Roman «Die Regeln des Spiels» setzt etwas später ein, als «Harlem Shuffle» aufgehört hatte: Carney hat sich von seiner Ganoventätigkeit zur Ruhe gesetzt und will als ehrbarer Bürger weiterleben.
Das geht knapp 20 Seiten lang gut, dann holt ihn seine Vergangenheit ein. Weil Carneys Tochter unbedingt zum Konzert der «Jackson Five» möchte, bittet er einen korrupten Polizeibeamten um Hilfe, zwei der längst ausverkauften Tickets zu ergattern.
Der Rest des Plots folgt dem Einmaleins der Ganovengeschichte: Carney schuldet dem korrupten Cop einen Gefallen, hilft ihm als Hehler aus und landet in einem Strudel, der ihn immer tiefer in den Abgrund der Kriminalität hineinzieht. Bloss geht es nicht mehr nur um Hehlerei, sondern auch um Versicherungsbetrug, Brandstiftung und Mord.
Geschichte wiederholt sich – und geht weiter
«Die Regeln des Spiels» ist in jeder Hinsicht die Fortsetzung von «Harlem Shuffle». Auf der Ebene des Plots ist das einfach: Ray Carney hat im letzten Roman schon mit sich selbst gekämpft, weil er die kriminelle Vergangenheit seines Vaters hinter sich lassen wollte. Nun kämpft er mit sich, weil er mit seiner eigenen abschliessen will, aber in seinen Machenschaften auch völlig aufblüht.
Und dieser Kampf wird sich wohl auch im nächsten Band fortsetzen, denn Colson Whitehead hat in Interviews angekündigt, es sei bereits ein dritter und letzter Teil der Geschichte in Arbeit.
Viel ergiebiger als der Plot ist bei Colson Whiteheads Harlem-Romanen aber der historische Kontext, in den er seine Geschichte bettet. Im letzten Roman war es das Leben im Schwarzen Viertel Harlem in den 1950er- und 1960er-Jahren, geprägt von rassistischen Alltagserfahrungen und Polizeigewalt.
Rassismus, Ignoranz und Polizeigewalt
«Die Regeln des Spiels» spielt zehn Jahre später am gleichen Ort. Der Rassismus ist geblieben, doch über gewaltvolle Polizeikontrollen lächelt man im Quartier nur noch müde. Wichtiger im Alltag sind revolutionäre Schwarze Untergrundbewegungen wie die «Black Panthers» und die «Black Liberation Army», die Überfälle und Anschläge verüben, und denen Carney im Gegensatz zu seiner jungen Tochter sehr skeptisch gegenübersteht.
Harlem, wie es Colson Whitehead in diesem Roman beschreibt, wird von der Stadtregierung systematisch vernachlässigt. Auch darin wittern seine Figuren eine Form von Rassismus: Die Behörden kümmert es kaum, dass im Quartier immer wieder Häuser abbrennen – ganz egal, ob durch Unfälle oder durch Brandstiftung. Sie schauen dankbar weg, weil man sich so bequem die Sanierungskosten in einem Quartier sparen kann, das hauptsächlich von Schwarzen bewohnt wird.
Der Spirit von Harlem in den 1970er-Jahren
Der Faden, mit dem Colson Whitehead das Historische und seinen Plot verwebt, ist der eigene Sprachsound, den er für diese Romane entwickelt hat: sehr rau und trotzdem elegant, manchmal fast schon lakonisch. So entsteht eine süffig erzählte Ganovengeschichte und ein facettenreiches, tiefgründiges Portrait seiner Heimatstadt in einem.