Seit 14 Jahren zeichnet Tom Gauld Woche für Woche einen Comicstrip für die Literaturbeilage des britischen «Guardian». In seinen Strips karikiert der 1976 in Schottland geborene Künstler mit trockenem Humor die Welt der Bücher und ihre Protagonistinnen und Protagonisten: Autoren, Verlegerinnen, Buchhändler, Bibliothekarinnen, Kritiker, Leserinnen, Sammler.
Mit Beckett im Meeting
Auch die Grossen der Welt- und Unterhaltungsliteratur werden nicht verschont: Etwa, wenn Gauld Samuel Becketts Klassiker des absurden Theaters mit «Warten auf Godot beim Zoom-Meeting» in die Corona-Pandemie verlegt.
Der Zeichner spielt in seinem Remake mit der Ästhetik von Zoomfenstern und inszeniert die wartenden Figuren Wladimir und Estragon als Meeting-Teilnehmer mit ausdrucksloser Miene. Wie Gauld Zitate aus dem Stück einstreut und die Situation mit einem neuen Schluss versieht, und das alles auf dem beschränkten Raum eines Comicstrips – das ist virtuos und sehr lustig.
Auf Deutsch erschienen Gaulds Streifen 2018 als «Kochen mit Kafka» in Buchform. Nun ist mit «Die Rache der Bücher» eine zweite Anthologie erschienen, eine verblüffende Persiflage auf die Welt der Literatur.
Wenn die KI prokrastiniert
Gauld ist selbst ein leidenschaftlicher Leser. Das drückt sich im breiten Spektrum der Literatur aus, die er aufgreift: Klassiker wie «Krieg und Frieden», Fantasy-Blockbuster, Jane Austen, prokrastinierende Jungautorinnen und vieles mehr.
Sogar künstliche Intelligenzen geben literarisch ihr Bestes: «Der Schriftsteller-Algorithmus hat noch keinen Roman verfasst», informiert in einem Comicstrip die Programmiererin ihre Kollegen. «Aber er hat tatsächlich eine ganze Serie von Mails an den Verleger geschrieben, er ‹komme gut voran› und werde ‹sehr bald fertig sein›.»
Treffsicher, aber nie böse
Gauld lässt kaum einen Aspekt aus der Welt der Bücher aus: Sogar die Stapel ungelesener Bücher und die Katzen von Schriftstellerinnen und Schriftstellern werden gewürdigt.
Bei aller Treffsicherheit ist sein Humor jedoch nie böse. Gauld macht sich über diesen Kosmos auf so liebe- und verständnisvolle Art und Weise lustig, dass sich alle Büchernarren und -närrinnen in seinen Karikaturen gerne wiedererkennen. Schliesslich beschwört er nichts weniger als die Magie der Literatur.
Neuerfindung der Comicsprache
Der Humor ist das eine, das andere ist die Form: Tom Gaulds Strips sind Juwelen intelligenter Comicsprache.
Sein Strich ist sehr reduziert, oft zeichnet er seine Menschen als Strichfiguren. Dieser minimalistische Stil erlaubt es ihm, mit Form und Format des Strips zu spielen.
Immer wieder erfindet Gauld den Comicstrip neu: Gewisse Streifen funktionieren nach dem klassischen Zwei-bis-vier-Bild-Prinzip. Andere Pointen werden in einem einzelnen, breiten Bild vermittelt. Manche Strips sehen aus wie Diagramme oder Baupläne.
Der Krimi-Konzept-Generator etwa, mit dessen Hilfe angehende Krimiautoren mittels vorgegebener Bausteine einen funktionstüchtigen Krimi konstruieren können: Er gleicht einer Bedienungsanleitung.
Ein Comic für Bücherwürmer
Für jeden Streifen findet Gauld die adäquate Form. Immer wieder verblüfft er mit schrägen Einfällen und wunderbaren Trouvaillen.
Trotz seiner experimentellen Spielereien bleibt er immer verständlich. Kluge Unterhaltung und Lesevergnügen stehen an erster Stelle. Wer Bücher liebt, wird bestimmt auch Tom Gauld lieben.