Wie zeichnet ein Karikaturist auf Reportage, wenn er unentdeckt bleiben will? Er skizziert einhändig in der Manteltasche. Ohne hinzusehen, versteht sich.
Im neuen Comic «Wir waren Charlie» ist man mittendrin im Alltag der Redaktion von Charlie Hebdo, dem französischen Satiremagazin.
Das Massaker zum Geburtstag
Die meisten kennen das berühmt-berüchtigte Satiremagazin aus Frankreich nicht wegen seiner künstlerischen und gesellschaftlichen Relevanz. Bekannt ist «Charlie Hebdo» vor allem wegen des mörderischen Anschlags.
Am 7. Januar 2015 stürmten zwei islamistische Terroristen eine Redaktionssitzung von «Charlie Hebdo» und erschossen elf Personen.
Luz überlebte nur, weil er sich just an diesem Tag, seinem Geburtstag, verspätet hatte.
Das Landei in der Stadt
Den Anschlag verarbeitete er in der eindringlichen Graphic Novel «Katharsis». Nun legt er mit «Wir waren Charlie» eine Hommage an seine Zeit bei Charlie Hebdo vor. Es ist eine Hommage vor allem auch an seine ermordeten Kollegen und Freunde. Unter den Opfern auch Jean Cabut (Cabu).
Der alte Meister Cabu erklärte dem jungen Luz sein blindes Zeichnen: Er fixiere den Block in seiner Manteltasche mit einem Finger so, dass er immer genau wisse, wo auf dem Papier sich der Stift bewegt.
Entdeckt und gefördert von Cabu stiess Luz 1992 als 19-jähriges Landei zu Charlie Hebdo. Und das spürt man: Seine Ehrfurcht vor und seine Liebe für die Koryphäen der Zeitschrift, vor allem für Cabu und Gébé, ist offensichtlich.
Auch wenn er sich schon bald selber zu einer zentralen Stimme in der französischen Karikaturenszene mauserte: Luz ist ein Fan geblieben.
Alkohol und Titelblätter
Mit viel Humor, Selbstironie, feiner Zärtlichkeit, aber auch einer gehörigen Portion Respektlosigkeit und Tabubrüchen lässt er knapp 25 Jahre als zeichnender Journalist und Kommentator Revue passieren.
Er erzählt von legendären Reportagen, karikiert seine Kolleginnen und Kollegen und schildert den Redaktionsalltag. Auch die berühmt-berüchtigten Abschlusssitzung kommen immer wieder vor. In ihnen wählte die gesamte Belegschaft das nächste Titelblatt aus – nicht selten unter Alkoholeinfluss.
Ein Porträt mit Lücken
Der anekdotische Charakter macht den Charme dieser Aufzeichnungen aus, verhindert jedoch die erhoffte Vertiefung: «Charlie Hebdo» war weit mehr als die Zeitschrift einer Handvoll verschworener Zeichner.
Doch Luz geht zu wenig auf das gesellschaftliche und politische Selbstverständnis der Zeitschrift ein. Er reflektiert kaum die Rolle, die die Karikatur dank Zeitschriften wie Hara-Kiri und «Charlie Hebdo» in Frankreich gespielt hat und spielt.
Die wichtigen Debatten und Prozesse, in die sich «Charlie Hebdo» so leidenschaftlich und ohne Rücksicht auf Verluste stürzte, umgeht er.
Was soll die Karikatur?
Luz' Nostalgie ist verständlich. Doch sie droht, «Charlie Hebdo» zu verharmlosen. Gerade jetzt, nach all den Debatten um Sinn und Zweck der Karikatur, wäre es interessant gewesen, ein paar Gedanken und Antworten aus dem inneren Kern von «Charlie Hebdo» zu hören.
Als ein ausgesprochen kluger, scharfsinniger und reflektierter Zeitgenosse hätte Luz auch viel dazu zu sagen.
Was deshalb von «Wir waren Charlie» bleibt, ist eine unterhaltsame, gut gelaunte und mit Schwung gezeichnete Chronik voller Anekdoten wie der über Cabus Manteltaschen-Zeichnerei. Das ist ganz schön viel, auch wenn man mehr hätte erwarten können.