Ein Schwerpunkt in diesem Jahr sind zweifellos die japanischen Comics, die Manga, denen gleich drei Ausstellungen gewidmet sind, darunter eine sensationelle Retrospektive des bis heute als «Gott der Manga» gefeierten Osamu Tezuka (1928-1989).
Damit schliesst sich ein Kreis: Vor 25 Jahren war die japanische Comic-Szene erstmals Gast in Angoulême – heute sind die japanischen Comics Teil unserer Comic-Kultur.
Auch Schweizer sind präsent
Auch die Schweizer Präsenz ist erfreulich: Neben einer launigen Ausstellung rund um «Titeuf» des Genfer Zeichners Zep, der erfolgreichsten Schweizer Comic-Figur der letzten 25 Jahre, wird auch der Waadtländer Cosey mit einer Retrospektive gewürdigt.
Cosey wurde letztes Jahr mit dem Grossen Preis für sein Lebenswerk geehrt und dieses Jahr von der französischen Kulturministerin zum Chevalier des Arts et des Lettres geschlagen.
Dazu gesellt sich die Zürcherin Anna Sommer, deren Graphic Novel «Das Unbekannte» im Rennen ist um den Preis für den Comic des Jahres.
Der Comic-Autor als Chamäleon
Als heimlicher Mittelpunkt des Festivals entpuppte sich aber die Ausstellung von Emmanuel Guibert, «Le dessin comme écriture» (Die Zeichnung als eine Art von Schreiben). Diese Ausstellung war insofern besonders aussagekräftig, als sie Einiges über das Selbstverständnis der heutigen Comic-Autoren aussagte.
Der rund 50-jährige Emmanuel Guibert ist der Inbegriff des modernen Comic-Autors: Er ist weder auf eine Serie, eine Figur oder ein Genre fixiert, sondern erfindet sich ständig neu und erfindet für jede Geschichte einen passenden Stil. Um die Routine zu brechen, sucht er die Zusammenarbeit mit anderen Autoren, Zeichnern, Erzählern, aber auch Fotografen.
Emmanuel Guibert hat mehrere dokumentarische Graphic Novels mit Fotografen gemacht, so etwa «Der Fotograf», das eine Mission von Ärzte ohne Grenzen im Afghanistankrieg in den 1980er-Jahren aufarbeitete, oder «Roma», eine Reportage über die Lebensbedingungen der Roma in Osteuropa.
Zeichnungen und Fotografien
Diese Bücher waren überaus erfolgreich und sorgten für grosses Aufsehen, galt doch die Verknüpfung von Comic und Fotografie als gewagt und schwierig, da Zeichnungen und Fotografien ganz anders funktionieren und wirken.
Hier die subjektive Zeichnung, da die angeblich objektive Fotografie. Hier der Fotograf, der alles mitnimmt, was vor seiner Linse liegt, da der Zeichner, der auswählt, stilisiert, auf das Wesentliche reduziert.
Die Konfrontation von Zeichnung und Fotografie schuf in «Der Fotograf» und «Roma» für grosse Spannung und löste viele Diskussionen aus über das Potenzial des Comics, die Realität abzubilden und zu reflektieren.
Guibert erzählt aber nicht nur ernsthafte Geschichten, sondern legt mit «Ariol» den aktuell wunderbarsten Comic für Kinder vor – aber auch da ist das Persönliche nie weit weg: «Ariol» basiert auf Guiberts Kindheitserinnerungen.
Testosterongesättigte Fantasien
Guibert war nominiert für den Grossen Preis für sein Lebenswerk – gewonnen hat den Preis jedoch der amerikanische Fantasy-Zeichner Richard Corben, der bekannt ist für seine testosterongesättigten, virilen, sexualisierten, ja sexistischen Geschichten, die heute aus einer Welt von gestern zu entstammen scheinen.
Womöglich erhöht das die Chancen von Anna Sommer. Die Jury könnte versucht sein, ein Zeichen zu setzen und Corbens männlichen Fantasy-Welten etwas entgegen zu halten: die subtile Graphic Novel einer Zeichnerin über weibliche Identität und Sexualität, Kinderwunsch und ungewollte Schwangerschaften. Verdient hätte Anna Sommer den Preis.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 26.1.2018, 17.20 Uhr.