Zum Inhalt springen
Audio
Will Eisner im Cartoonmuseum Basel
Aus Kultur-Aktualität vom 10.03.2023. Bild: Cartoonmuseum Basel
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 38 Sekunden.

Comiczeichner Will Eisner Jenseits von Gut und Böse: Der Godfather der Graphic Novel

Ohne Superkräfte, dafür mit Köpfchen: Kaum ein Autor hat den US-amerikanischen Comic so geprägt wie Will Eisner. Eine Ausstellung in Basel würdigt den Erfinder der Graphic Novel.

Will Eisner kommt 1917 in der Bronx zur Welt, als Sohn jüdischer Einwanderer aus Osteuropa. Seine Comic-Karriere beginnt in den Strassen von New York. Als Zeitungsjunge lernt Eisner nicht nur die raue Realität der Grossstadt kennen, sondern auch die klassischen Zeitungscomics.

Das ist der Startschuss zu einer 70-jährigen Laufbahn, in der er sich mehrmals neu erfinden und den Comic entscheidend voranbringen wird.

schwarzweiss-Skizze über Hochhaus-Dächern, vorne sitzt ein Paar an Schornstein angelehnt.
Legende: Eine Szene aus «Life» aus Eisners «City – A Narrative Portfolio», 1980. Cartoonmuseum Basel / «City – A Narrative Portfolio»

Seine Geschichte ist auch eine Geschichte der US-Comics seit den 1930er-Jahren. Das zeichnet die Ausstellung «Will Eisner. Graphic Novel Godfather» im Cartoonmuseum Basel auf bestechende Weise nach.

Empathischer Held

Seine ersten Comics veröffentlicht Eisner Mitte der 1930er-Jahre – schon bald drückt er dem US-Comic erstmals seinen Stempel auf.

1940 boomen Superman, Batman und Wonder Woman. Superhelden sucht man bei Eisner indes vergeblich. Stattdessen erfindet er «The Spirit» alias Dennis Colt. Der maskierte Detektiv bekämpft Verbrechen ohne übermenschliche Kräfte, aber mit Köpfchen und Herz.

ein altes Comicheft mit einem Mann in blauem Anzug, Hut und schwarzer Maske darauf.
Legende: «The Spirit» erschien als Beilage in einer Zeitung. Über fünf Millionen Kopien des Verbrecherjägers wurden in den 1940er-Jahren gedruckt. Cartoonmuseum Basel / «The Spirit»

Besonders ungewöhnlich: Oft richtet Eisner seine Aufmerksamkeit auf das Schicksal der kleinen Ganoven und Nebenfiguren im Hintergrund und inszeniert kleine gesellschaftliche Dramen. Damit unterläuft er das simple Gut-Böse-Weltbild der damaligen Comics.

Lehr- und Sachgeschichten

Während des Zweiten Weltkriegs entdeckt Eisner das didaktische Potenzial von Comics. Für eine Armeezeitschrift zeichnet er Comics, die den Soldaten etwa den schonenden Umgang mit Maschinen beibringen sollen.

Dieses Konzept entpuppt sich als so erfolgreich, dass Eisner 1952 den Spirit aufgibt, um ausschliesslich Lehr- und Sachcomics für Armee, Industrie und Schulen zu produzieren.

SRF Passage zu Will Eisner

Box aufklappen Box zuklappen

Mehr zu Will Eisner gibt es am 24. März in der Passage von Radio SRF 2 Kultur zu hören.

Herzschmerz, Kakerlaken und Gott

Erst 1978 kehrt er in die Comicszene zurück. Mit «Ein Vertrag mit Gott» revolutioniert der mittlerweile 61-Jährige den amerikanischen Comic erneut.

schwarzweiss-Zeichnung überflutete Strassen, ein Mann im Mantel mit Sprechblase, im Hintergrund Häuser
Legende: Ein Mietshaus erscheint in der Überflutung wie eine Arche Noah: In «Ein Vertrag mit Gott» erzählt die Geschichte eines jüdischen Migranten in New York. Cartoonmuseum Basel / «A Contract with God»

In vier Erzählungen über die Bewohner eines jüdischen Mietshauses geht es um Liebe und Herzschmerz, Kakerlaken, ethnische Vorurteile und die Beziehung zu Gott.

Das hat so wenig mit den Stereotypen des Comic-Mainstreams gemein, dass Eisner nach einer neuen Gattungsbezeichnung sucht. Er nennt sein Buch eine «Graphic Novel». Der Begriff hat sich heute durchgesetzt, um Comics mit einem gewissen inhaltlichen und literarischen Anspruch zu bezeichnen.

schwarzweiss-Blatt
Legende: Die Geschichten in «Ein Vertrag mit Gott» sind zum Teil an Eisners Kindheitserinnerungen in der Bronx angelehnt. Cartoonmuseum Basel / «A Contract with God»

In seinem vielfach preisgekrönten Alterswerk umkreist Eisner fortan sein jüdisches Erbe, das Leben im Melting Pot New York, zwischenmenschliche Beziehungen, Immigration, Rassismus und den amerikanischen Traum.

Komplott und Pamphlet

Eisners Experimentierfreude und Lust an Neuem bleiben ungebrochen: Kurz vor seinem Tod 2005 schliesst er seine 20-jährige Arbeit «Das Komplott. Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion» ab, ein grafischer Essay über Entstehung und Wirkung des berüchtigten antisemitischen Pamphlets.

Schwarzweiss-Foto eines Mannes mittleren Alters, sitzt mit Skizzenbuch auf dem Bein, Stift in der Hand
Legende: Will Eisners Schaffen umspannt fast 80 Jahre, 20 Jahre unterrichtete er an der New York School of Visual Arts. (Foto: 1941) Cartoonmuseum Basel

Will Eisner ist schon da längst ein leuchtendes Vorbild für die Comicszene: Er ist der grosse alte Mann, der sich von Anfang an als Autor verstanden hat und stolz darauf war, Comics zu zeichnen. Kein Wunder setzt ihm die Comic-Industrie ein Denkmal. 1988 tauft sie den wichtigsten US-amerikanischen Comicpreis «Will Eisner Award».

Die Ausstellung im Cartoonmuseum Basel macht nicht zuletzt eines deutlich: Auch aus heutiger Perspektive bleibt Eisner ein moderner Autor.

Ausstellungshinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Das Cartoonmuseum Basel zeichnet Eisners langes Schaffen auf vorbildliche Weise nach. Mit klug ausgewählten und aussagekräftigen Seiten vermittelt der Kurator Alexander Braun, einer der besten Kenner des klassischen US-Comics, Eisners langes Schaffen.

Die Ausstellung «Will Eisner Graphic Novel Godfather» ist vom 11.03. bis 18.06.2023 zu sehen.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 10.03.2023, 17:10 Uhr

Meistgelesene Artikel