Man stelle sich vor: Eine Frau kommt viele Jahre lang in der Ehe für den Unterhalt auf, während der Mann seinen Job als Anwalt und Fotograf an den Nagel hängt und die Hausarbeit sowie Kinderbetreuung übernimmt. Das Erste, was der Frau nach der Trennung in den Sinn kommt, ist: Die Kinder gehören zur Mutter. Unterhalt zahlen wird sie sicher nicht.
Immer noch – oder gerade heute – werden sich viele Leserinnen und vielleicht auch Leser daran stören, wie Rachel Cusk in ihrem Buch «Danach. Über Ehe und Trennung» über Vorstellungen von Weiblichkeit, Feminismus oder Rollenzuschreibungen schreibt. Völlig zu Recht. Das spricht aber nicht zwingend gegen dieses Buch.
Die englische Schriftstellerin gilt schon länger nicht mehr nur als Geheimtipp. Rachel Cusk ist eine der interessantesten Autorinnen unserer Zeit: Ebenso scharfsinnig, geistreich und unerbittlich im Urteil wie umstritten und verhasst. Denn in ihren Büchern bricht sie immer wieder Tabus und nimmt gesellschaftliche Debatten vorweg – lange bevor sie ins Licht der Öffentlichkeit rücken.
Ihre Ehrlichkeit macht sie verhasst
In ihrem Buch «A Life’s Work: On Becoming a Mother» (2001, auf Deutsch: «Lebenswerk. Über das Mutterwerden») hat sie vor knapp zwanzig Jahren schon über Mutterschaft geschrieben – lange bevor die israelische Soziologin Orna Donat den Begriff «Regretting Motherhood» prägte.
Cusk ging damals der Frage nach, was es für eine Frau heisst, durch die Geburt eines Kindes zur Mutter zu werden. Die Publikation des Buches machte sie zur «meistgehassten Schriftstellerin Englands».
Cusk schreibt schonungslos übers Scheitern
Auch mit ihrem aktuellen Buch hat Rachel Cusk bereits vor acht Jahren einen Riesenskandal ausgelöst, weil sie darin so schonungslos und ehrlich über die Zeit nach der Trennung von ihrem Mann schreibt, über ihre Gefühle als Ehefrau und Mutter, ihre Irrtümer, das Scheitern ihres Lebenskonzepts. Kein Wunder, hat der deutsche Verlag das Buch erst jetzt veröffentlicht.
«Danach. Über Ehe und Trennung» ist eine Mischung aus Essay und Aufarbeitung des eigenen Lebens – ob man das nun als Memoiren oder autofiktionale Erzählung verstehen mag. Den Trümmerhaufen des eigenen Lebens überträgt Cusk gekonnt in ein erzählerisches Puzzle, in dem sie Motiven aus der antiken Mythologie und dem Christentum nachspürt.
Manche dieser Bilder überraschen, andere sind inzwischen ziemlich abgestanden, wie beispielsweise eine Trennung als Kriegshandlung oder das Leben als zerstückeltes Puzzle. Was aber sicher zutrifft: Rachel Cusk gibt dem Chaos eine Form, meisterhaft und stilsicher.
Das kann verwirren, aber genau das ist das Prinzip. Denn Cusk geht es nicht darum, ihre Leserschaft ins Boot zu holen. Es geht ihr einzig und allein darum, ihrer eigenen Trennung etwas entgegenzusetzen, was nur die Literatur vermag.