SRF: Alain de Botton, in Ihrem Roman «Der Lauf der Liebe» gerät sich das Paar Kirsten und Rabih in der IKEA beim Gläser-Einkauf in die Haare: sie will verschnörkelte, er bevorzugt schlichte – und schon stecken sie in einer Ehekrise. Gibt es in Ihrem Haushalt auch IKEA-Gläser ?
Alain de Botton: Ja, es gibt welche. Ich verrate aber nicht, ob es beim Kauf Streit gegeben hat. Die Szene ist typisch: Viele Männer und Frauen verkrachen sich wegen Nichtigkeiten und realisieren nicht, wie gefährlich solche scheinbar banalen Dissonanzen sind.
Komischerweise hält sich die Vorstellung hartnäckig, dass nur die ganz grossen Probleme die Liebe belasten – etwa politische Uneinigkeiten oder alte Konflikte zwischen den Familien. Aber in der Realität liegen die Minenfelder meistens woanders. Welche Messer wir auswählen, wo wir die Duschtücher aufhängen, wessen Mutter wir an Weihnachten besuchen – das sind die Schwachpunkte in modernen Beziehungen.
Sie betonen im Buch auch, dass wir uns für sogenannt wichtige Themen Zeit nehmen – aber für die Klärung solcher Nebensächlichkeiten eben nicht.
Wir leiden wohl alle unter dem Ideal der romantischen Liebe: Die Romantik gibt uns eine Art Landkarte vor, und diese Landkarte ist sehr einflussreich. Sie definiert, wo die wichtigen Punkte in einer Liebe angesiedelt sind. Das normale, alltägliche Leben halten wir demnach für langweilig.
Wo wir die Duschtücher aufhängen, wessen Mutter wir an Weihnachten besuchen – das sind die Schwachpunkte in modernen Beziehungen.
Wenn sie an die Romantik in Büchern oder Filmen denken, dann begegnen wir da immer Paaren in ausserordentlichen Lebensumständen. Niemand geht ins Büro, niemand beschwert sich über die schmutzige Wäsche. Kein Wunder also liegen wir dann nachts im Bett und haben den Eindruck, unser Leben ist schief gelaufen, weil wir unsere Realität an diesen Vorgaben messen.
Aber eigentlich wissen wir doch alle, dass die romantische Liebe letztendlich eine Illusion ist.
Ja, aber wir wollen es nicht wahrhaben und glauben immer noch, dass wir eigentlich einen Prinzen oder eine Prinzessin verdient hätten. Und dass er oder sie irgendwo auf uns wartet.
Höchste Zeit also, dass sich die Literatur endlich auch um die Liebe in unserem alltäglichen Leben kümmert. Und deshalb begleite ich in meinem Buch ein völlig durchschnittliches Paar durch die verschiedenen Stadien ihrer langjährigen Ehe. Kirsten und Rabih werden zunehmend mit der Kunst der Liebe vertraut. Liebe ist nicht nur ein Gefühl, Liebe ist auch ein Handwerk, das man sich schmerzhaft Schritt für Schritt aneignen muss.
Höchste Zeit, dass sich die Literatur endlich um die Liebe in unserem alltäglichen Leben kümmert.
Aber Bücher oder Filme über normale Beziehungen sind halt meistens eher langweilig.
Sicher sind sie langweilig, und ich verstehe jeden Filmproduzenten, der ein aufregenderes Drehbuch sucht. Ich weiss, wie schwierig es ist, als Autor das Alltägliche spannend zu gestalten: so gesehen habe ich wohl ein sehr langweiliges Buch geschrieben. Und doch werden die Leserinnen und Leser dranbleiben, weil sie ihre eigene Partnerschaft gespiegelt sehen.
Sie hatten eine raffinierte Idee, wie Sie Spannung ins Buch bringen konnten: Sie schlüpfen in zwei Rollen – einerseits erzählen Sie uns von Kirsten und Rabih, anderseits kommentieren Sie immer wieder deren Verhalten.
Man nennt dieses Genre Bildungsroman: Es ist nicht nur ein Buch über Gefühle, sondern regt hoffentlich auch den Geist an. Mir war immer klar, dass ich diesen Roman auf diese Art und Weise schreiben musste: als Mischung von Analyse und Action.
Beiträge zum Thema
Ich wollte aufzeigen, wie Menschen in Liebesdingen reifen können. Lieben besteht nicht darin, bloss die Stärken des anderen zu bewundern, sondern sie fordert auch Grosszügigkeit gegenüber seinen Schwächen.
Ich finde es zum Beispiel rätselhaft, warum uns diese Haltung problemlos gegenüber unseren Kindern gelingt, aber nicht im Umgang mit Erwachsenen. In jedem von uns schlummert ein verletzliches, kleines Kind, das Nachsicht benötigt.
Was war Ihr Hintergrund für dieses Buch: Ihre eigene Ehe? Oder die Arbeit in der «Schule des Lebens», die Sie in London führen?
Der beste Weg, einen Fremden kennenzulernen, führt zweifellos über dich selber. Wenn du dein Innerstes erforscht hast, weisst du über die meisten anderen Menschen ebenso Bescheid. Ich bin überzeugt, dass wir emotional alle sehr ähnlich ticken.
Und es ist die Aufgabe des Romanautors, in die Tiefe zu gehen und sich nicht von Oberflächlichkeiten blenden zu lassen. So gesehen konnte ich durchaus von eigenen Erfahrungen profitieren.
Auch in meiner «School of Life» diskutieren wir täglich mit Leuten über Eheprobleme. Ich erfahre da zum Beispiel, welche Belastung die Geburt eines Kindes darstellt, ich kenne die Machtprobleme, die unterschiedliche Beziehungskonstellationen verursachen können und ich habe gesehen, welchen Schaden Seitensprünge auslösen. Das sind universelle Dinge.
Eine Partnerschaft auf Dauer ist ein Hochseilakt – und wir alle, die uns darauf einlassen, müssen ganz schön verrückt sein.
Das Gespräch führte Luzia Stettler.
Sendung: Radio SRF 1, Buchzeichen, 11.12.2016, 14:06 Uhr