Alles fing damit an, dass sich eine Journalistin über eine Buchrezension aufregte. Darin wurde eine Autorin verglichen mit einem «aufgeschreckten Reh mit sinnlichen Lippen».
Die Autorin ist der neue irische Shooting-Star Sally Rooney, 28 Jahre alt und vom Feuilleton mit hymnischer Euphorie besprochen. Die Frau, die sich aufregte, ist die Schweizer Journalistin und Literaturwissenschaftlerin Nadia Brügger.
Unter dem Hashtag #dichterdran machte Brügger ihrem Ärger Luft, indem sie den Spiess einfach umdrehte: Wie würden sich die Kritiken lesen, wenn man die Männer- und Frauenrolle vertauscht?
Zahlreiche Kolleginnen wie die Journalistin Simone Meier von Watson oder die Kolumnistin, Filmregisseurin und Drehbuchautorin Güzin Kar schlossen sich der Aktion an.
Die Tweets waren ein Hingucker: sehr witzig, sehr spritzig und treffsicher. Die Aktion zog Kreise bis nach Deutschland und in die fremdsprachige Presse, etwa in den Guardian . Nun ist das Buch mit diesen Tweets erschienen, der Titel: «Hemingways sexy Beine».
Eine ehrenhafte, ernsthafte und wichtige Sache. Immer noch kommt keine Frau in die Medien, ohne dass etwas zu ihrem Alter, Aussehen oder Benehmen gesagt wird. Die meisten Männer hingegen gehen ohne Altersangabe durch. Aussehen ist vielleicht noch bei Peter Stamm oder Arno Camenisch ein Thema, das Benehmen eines Autors wird auch nur sehr selten der Rezension eines Buches zugrunde gelegt.
«Typisch männlich»?
Veronika Schuchter, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik an der Universität Innsbruck, hat in einer spannenden Studie Geschlechterverhältnisse in der Literaturkritik wissenschaftlich untersucht.
Darin geht es auch um den Sprachgebrauch. Adjektive wie «gefühlsbetont» oder «melancholisch» gälten als weibliche Eigenschaften und würden einen Text somit entwerten. «Messerscharf», «distanziert» oder «analytisch» dagegen wären «typisch männliche» Eigenschaften, einen Text aufwerten würden. Die Website Frauenzählen.de gibt einen Überblick über den Stand der Forschung.
Der Auslöser hatte andere Absichten
Von all dem ist das Buch freilich weit entfernt. Es versteht sich nicht als wissenschaftlicher Beitrag zur Debatte. Aber genau das ist auch sein Problem, und zwar aus zwei Gründen:
Erstens ist der Auslöser unsorgfältig ausgewählt. Die Rezension von Sally Rooneys «Gespräche mit Freunden» ist unpräzise und verzerrend zitiert. Der Kritiker hatte darin nämlich auf die Vermarktung der Autorin hingewiesen, auf die Fotos beispielsweise, die dem Hype in der Presse zur Seite gestellt sind. Insofern hat er genau das moniert, was auch die Autorinnen von #dichterdran monieren: Man präsentiert eine junge Autorin als Reh, damit sie sich noch besser verkauft.
Die Grundlage ist nicht erkennbar
Zweitens, und das wäre nach dieser Aktion vor allem interessant gewesen: Wie genau sehen die ursprünglichen sexistischen Kritiken aus? Viel wirkungsvoller wäre gewesen, sich die Mühe zu machen, diese Beispiele männlicher Herablassung zu sammeln und dann ins Gegenteil zu kehren.
So ist die Sammlung ein lustiges, fiktives Spiel, das ins Leere läuft, weil die Grundlage nicht erkennbar ist. Wirklich bedauerlich, dass sich die Herausgeberinnen diese Mühe nicht gemacht haben. Hoffentlich findet sich jemand, vielleicht sogar aus dem akademischen Bereich, die das nachholt.