Eigentlich wollte er gar kein Buch schreiben. Nach seinem letzten Roman «Hardland» hatte Benedict Wells bekannt gegeben, eine Auszeit zu nehmen. Endlich mal andere Dinge tun. Studieren zum Beispiel.
Seit 16 Jahren gehört Wells zu den beliebtesten deutschsprachigen Autoren. Fünf Romane hat er mittlerweile veröffentlicht. Allen Ankündigungen zum Trotz konnte er es nun doch nicht lassen, ein weiteres Buch zu schreiben.
«Das Schreiben hat von hinten an die Tür geklopft», erzählt der deutsch-schweizerische Autor. «Weil ich auf meinen Lesetouren oft nach meinem Schreibprozess gefragt wurde, wollte ich auf meiner Website auf diese Fragen eingehen. Der Text ist mir dann total entglitten», schmunzelt Wells, «so ist dieses Buch entstanden».
Wie entsteht ein Roman?
«Die Geschichten in uns. Vom Schreiben und vom Leben» ist ein Glücksfall, nicht nur für eingefleischte Wells-Fans, sondern für alle, die von Literatur fasziniert sind. Der Autor lässt sich darin über die Schulter schauen: Er erklärt, wie er an seinen Figuren feilt, wie er seine Texte zu Romanen verdichtet und warum ihn das Schreiben an den Rand der Verzweiflung bringt.
Benedict Wells öffnet aber nicht nur die Tür seiner Schreibwerkstatt, sondern auch jene zu seiner Kindheit: «Ich kann nicht erzählen, wie ich zum Schreiben gekommen bin, ohne den Jungen, der ich war. Ich glaube, mein ganzes Schreiben ist ein Rückweg zu mir selbst.»
Der intime Einblick in Wells frühe Lebensjahre ist überraschend. Denn genau darüber wollte er an Lesungen und in Interviews kaum reden. Nun erzählt er von seiner Kindheit im Internat und von seiner psychisch kranken Mutter; dem Vater, der als Alleinerziehender überfordert war.
Benedict Wells nimmt uns mit auf seinen langen Weg zum Schriftsteller. Das ist fesselnd und liest sich fast wie ein Roman. Wenn sich Wells erinnert, wie zu Beginn niemand seine Manuskripte gut fand – weder Verlage noch Freunde –, dann staunt man, dass er so lange durchgehalten hat.
«Es hat mir einfach Spass gemacht, diese Geschichten zu entwickeln. Da war zwar echt viel Mist dabei, aber das Schreiben war ein fantastisches Ventil für die Gefühle aus meiner Jugend.»
Peinlich, aber lehrreich
Wenn Benedict Wells über sein Scheitern schreibt, ist das keine Koketterie, im Gegenteil: Es ist eine Ermutigung zum Schreiben. Fern von Starallüren erklärt er, was die guten von seinen schlechten Texten unterscheidet.
Wells veröffentlicht sogar Auszüge von frühen Versionen seiner Erfolgsromane «Vom Ende der Einsamkeit» und «Hardland». «Es sind Fassungen, die mir immer noch peinlich sind. Aber das Buch wird facettenreicher, wenn ich auch mit diesen peinlichen Stellen rausrücke.»
Neben eigenen Texten nennt Wells auch unzählige andere Werke, von John Irving, Carson McCullers oder John Green. «Ich wollte viele andere Stimmen miteinfliessen lassen, damit es nicht nur um meinen Prozess geht.»
Die Leidenschaft ist zurück
Es sind Bücher, die Wells begeistern. Auch darum ist «Die Geschichten in uns» wie eine persönliche Begegnung mit dem Autor. Man merkt: Das Schreiben hat ihm Spass gemacht. «Die Leidenschaft, die ich nicht mehr hatte beim Roman schreiben, kam plötzlich mit voller Wucht zurück.»
Mittlerweile keimen auch wieder neue Ideen: «Ich möchte unbedingt ein Sachbuch über Trauer schreiben, und ich denke über ein Theaterstück und zwei Romane nach.» Wir dürfen gespannt sein.