Liao Yiwu macht keinen Hehl daraus: Er glaubt an die Labor-Variante. Beweise dafür kann der Autor aber keine liefern und deshalb auch keine endgültige Antwort, nur eine These.
Sein Buch nennt Liao Yiwu einen Dokumentarroman. Dieser ist gespickt mit Daten und belegten Fakten samt Quellennachweisen. Die Protagonisten sind fiktiv, sie erinnern aber an echte Persönlichkeiten.
Recherchen im Exil
Eine davon ist Zhuang Zigui, ein glatzköpfiger Autor, der von Berlin aus über das Internet und über Beziehungen nach der Wahrheit sucht. Dieser Autor könnte Liao Yiwu selbst sein.
Auch er ist 2011 aus China geflohen. Für sein Buch «Wuhan» recherchierte er von seiner Wahlheimat Berlin aus. Stellt sich daher die Frage, ist seine Geschichte glaubhaft?
Eine Irrfahrt durch China
Ja, meint SRF-Chinakorrespondent Martin Aldrovandi. Ihm seien beim Lesen einige Erinnerungen aufgekommen. Nach Interviewpartnern, die plötzlich verschwunden sind, aber auch nach den grauenhaften Erlebnissen, welche die Bevölkerung in China durchleben musste.
So lässt Liao Yiwu seinen Hauptprotagonisten, den Historiker Ai Ding, von Berlin aus nach Wuhan reisen. Er will nach Hause zu Frau und Kind, das chinesische Neujahrsfest steht an.
Aber kaum ist Ai Ding in Peking gelandet, wird der erste Lockdown im Land verhängt. Eine Reise, die sonst einige Stunden dauert, wird zu einer wochenlangen Irrfahrt. Wuhan und weite Bezirke um die Stadt sind abgeriegelt.
Die Tür wird zugenagelt
Unterwegs wird Ai Ding zu einer Quarantäne gezwungen. Er muss in einer kleinen Wohnung ausharren. Die Türe wird von aussen zugenagelt. Essen kann er sich online bestellen.
Statt frischem Gemüse und gutem Fleisch werden ihm ein Stück zäher Schweinebauch und Pilze geliefert und durchs Dachfenster reingeworfen. Das Essen ist überteuert, obwohl die Behörde die Pilze Tage vorher aus einem Transporter gestohlen hatte, wie sich später herausstellt.
Menschen, die sterben, weil sie ihre zugenagelten oder versiegelten Wohnungen nicht verlassen dürfen. Ganze Familien, die hungern. Menschen, die auf der Strasse sterben. Überfüllte Krankenhäuser und eine Behörde, die dies alles zu verschleiern versucht. Dies alles lässt der Autor seinen Protagonisten auf seiner beschwerlichen Heimreise erleben.
Auf dem Schwarzmarkt gehandelt
Auf seiner Reise unterhält sich Ai Ding regelmässig über das Internet mit seinem Freund, dem Autor Zhuang Zigui. Dieser hält ihn laufend auf dem neusten Stand seiner Recherchen über die mögliche Herkunft des Virus. Im Verlauf der Zeit und Ai Dings Reise wird immer plausibler, weshalb das Virus aus einem Labor nahe bei Wuhan entwichen sein könnte.
«Wuhan» liest sich nicht einfach, nicht zuletzt wegen der vielen Quellenhinweise. Auch der Humor ist manchmal schräg. Doch Liao Yiwu nimmt kein Blatt vor den Mund und hinterlässt tiefgreifende Eindrücke über das Leben in seiner Heimat. Liaos Bücher sind in China verboten. Auf dem Schwarzmarkt werden sie aber hoch gehandelt.