«GRM. Brainfuck» ist eine Dystopie über das Leben in einem totalen Überwachungsstaat. Hart, düster und packend. Die menschlichen Beziehungen darin sind geprägt von Hass, Gewalt und Sex.
Dazu gibt es den passenden Soundtrack: Grime, eine aggressive Form von Rap. Für diesen Roman bekommt Sybille Berg heute den Schweizer Buchpreis 2019 verliehen.
«Sibylle Berg verdient den Preis zu Recht»
SRF-Literaturredaktor Julian Schütt findet, dass Sibylle Berg den Buchpreis zu Recht gewonnen hat. «GRM. Brainfuck» habe eine ganz andere gesellschaftlich-politische Dringlichkeit und Wucht, als die anderen nominierten Titel.
SRF: Was hat der Entscheid der Jury bei Ihnen ausgelöst?
Julian Schütt: Zufriedenheit. Obwohl Sibylle Berg im Osten Deutschlands aufgewachsen ist, hat es ihr Buch beim deutschen Buchpreis nicht einmal auf die Longlist geschafft.
Die deutsche Buchpreis-Jury drückte sich feige vor diesem brisanten Buch. Umso mutiger finde ich darum den Entscheid, ihr jetzt den Schweizer Buchpreis zu geben.
Ist Sibylle Berg die logische Siegerin?
Ja, sie ist im Vergleich mit den anderen Nominierten in einer anderen Liga unterwegs gewesen. Ihr Buch war ein Spiegel-Bestseller, wurde im gesamten deutschen Sprachraum breit besprochen.
Vor allem aber hat ihr Roman «GRM» eine ganz andere gesellschaftlich-politische Dringlichkeit und Wucht als die anderen nominierten Titel.
Worin besteht denn diese Wucht?
Die Jury hat Sibylle Bergs Buch «GRM» ziemlich martialisch als «mind bomb» bezeichnet. In Printmedien ist auch von einer «Wutbombe» die Rede gewesen. Aber das ist irreführend.
Eine Bombe zerstört. Sibylle Bergs Buch aber will gerade vor der Zerstörung unserer demokratischen Gesellschaften warnen. Es ist eher ein Aufruf: «Empört euch!».
Sibylle Berg pappt alle gängigen Krisen und Katastrophen zusammen: Neoliberalismus, Klimawandel, Überwachungsstaat, Brexit, Abbau der Demokratie, Machogesellschaft. Reicht das als Gesellschaftskritik?
Da bin ich gespalten. Die Autorin kommt da und dort arg ins Hyperventilieren. Andererseits gehören alle erwähnten Krisen- und Katastrophenbefunde leider zusammen.
Eigentlich hat Sibylle Berg keine Sprache. Sie hat einen Sound, der einem all die Monstrositäten, all die Zynismen und Ungerechtigkeiten ins Hirn hämmert.
Das wirklich Brisante ist ja, dass Sibylle Berg eindrucksvoll aufzeigen kann, wie diese Krisen und Katastrophen letztlich zu einer neuen Zweiklassengesellschaft führen: auf der einen Seite die wenigen Reichen, die sich alles leisten und erlauben dürfen, auf der anderen Seite die Masse der Abgehängten, die man zu kontrollieren und stillzulegen versucht.
Die Jury lobt den Roman als Avantgarde. Zu Recht?
Das Buch heisst neben «GRM» auch «Brainfuck», und diese Bezeichnung ist ziemlich wörtlich zu nehmen. Die Jugendlichen hören eine Musikrichtung namens Grime.
Und so rappend ist das Buch auch geschrieben. Eigentlich hat Sibylle Berg keine Sprache. Sie hat einen Sound, der einem all die Monstrositäten, all die Zynismen und Ungerechtigkeiten ins Hirn hämmert.
Hat ein Buch «ohne Sprache» denn den Buchpreis überhaupt verdient?
Wenn wir allein die handwerkliche Sorgfalt, die Originalität oder Virtuosität der Sprache für sich nehmen, hätten alle anderen Nominierten den Buchpreis mehr verdient.
Aber zum Glück gehören die Sprache, und das was sie ausdrücken soll, zusammen. Und da hat niemand so wie Sibylle Berg den absolut treffenden Ton oder eben Sound gefunden, der perfekt zu ihrer heftigen Gesellschaftskritik passt. Insofern hat sie den Preis sehr wohl verdient.
Das Gespräch führte Michael Luisier.
Sendung: Sondersendung Schweizer Buchpreis 2019, Radio SRF 2 Kultur, 10.11.2019, 12:00 Uhr