Über 2000 Stück des «Chalender Ladin» werden jedes Jahr verkauft. Bei rund 7500 Menschen mit Muttersprache Engadinerromanisch ist das eine stolze Zahl. Bis heute findet man den Kalender in vielen Arztpraxen und in fast jedem rätoromanischen Haushalt im Engadin.
1911 gegründet, hat sich das Deckblatt kaum geändert: der Titel «Chalender Ladin» in Serifenschrift – wie bei den Sgraffiti auf Engadiner Häusern – gehört genauso dazu wie der sprachpolitische Kampfspruch: «Tanter rumantschs, be rumantsch!» – «Unter Rätoromanen nur Romanisch!».
Von Haus zu Haus
Die Herausgeber
Die Kontinuität ist ein Teil des Erfolgsrezepts des Engadiner Volkskalenders. Die Rubriken sind in den über 100 Jahren seit der ersten Ausgabe praktisch dieselben geblieben: Neben dem eigentlichen Kalenderteil mit den Namenstagen und Informationen zu günstigen Tagen zum Säen und Pflanzen gibt es Gedichte von Nachwuchsschreiberlingen, Erinnerungen älterer Menschen an vergangene Zeiten, Nachrufe und Berichte aus der rätoromanischen Regionalorganisation «Uniun dals Grischs».
Bis heute wird der Kalender durch Ortsverantwortliche vertrieben. In vielen Dörfern gehen diese von Haus zu Haus, um das Heft unter die Leute zu bringen.
«Unter Rätoromanen nur Romanisch!»
Entstanden ist der «Chalender Ladin» 1911, als das Rätoromanische noch nicht den Status einer Landessprache hatte. Der Kalender verstand sich von Beginn weg auch als Vehikel, um die romanische Sprache lebendig zu halten und sie als eigenständige Sprache von nationaler Bedeutung bekannt zu machen.
Heute wird das Rätoromanische mit eidgenössischen Subventionen gefördert. Im Engadin mischen Jugendliche Romanisch und Deutsch mit Englisch oder Portugiesisch. Da wirkt der Slogan «Unter Rätoromanen nur Romanisch!» veraltet.
Kalender als schulischer Ansporn
Das weiss auch die Mittelschullehrerin Sidonia Klainguti. Zusammen mit ihrem Vater, dem Schriftsteller Göri Klainguti, ist sie zuständig für die Redaktion des «Chalender Ladin». «Natürlich interessieren sich Jugendliche auch im Engadin heute kaum mehr von sich aus für eine Publikation wie den Volkskalender.»
Sie versucht ihre Schülerinnen und Schüler auf den Geschmack zu bringen, indem sie die besten Texte des Unterrichts im «Chalender Ladin» publiziert. «Gerade letzthin kam eine Schülerin und erzählte strahlend vom grossen Echo, das sie auf ihren Text erhielt», berichtet Klainguti. Der Kalender werde von der älteren Generation eben immer noch fleissig gelesen.
Spagat zwischen Tradition und Erneuerung
Doch gerade die ältere Generation reagiere sensibel auf Veränderungen, erzählt Göri Klainguti: «Als wir das Titelbild nur leicht veränderten, gab es heftige Reaktionen.» Insgesamt gelingt dem generationenübergreifenden Team des «Chalender Ladin» der Spagat zwischen Tradition und Erneuerung jedoch gut – das zeigen die Verkaufszahlen.
Nach sieben Jahren geben die beiden Klaingutis den Stab nun weiter an eine neue, junge Redaktorin. Sie wird eine Antwort auf die Frage finden müssen, wie der Kalender langfristig für ältere und jüngere Engadiner attraktiv bleiben kann.
Sendung: Radio SRF 1, Schnabelweid, 29.12.2016, 21:03 Uhr