- Die britische Buchhandelskette Waterstones setzt erfolgreich auf persönliches Sortiment und ein unabhängiges Sortiment in den einzelnen Filialen.
- Auch im Schweizer Buchhandel könnte ein solches Modell den Umsatz ankurbeln, meint ein Kenner.
- Mehr Autonomie würde die Buchhändler motivieren, ihre Lieblingstitel zu empfehlen.
Wenn einer auf «Indie» macht
Aussen steht der Name einer Buchhandelskette – aber im Innern wird der traditionelle Buchladen von nebenan evoziert: ausgewählte Bücher in der Auslage, von lokalen Autoren und unabhängigen Verlagen. Persönliche Beratung, keine E-Books.
Die Filiale einer Grossbuchhandlung, gestaltet wie ein Indie-Buchladen: Dank diesem Konzept schreibt der britische Marktführer Waterstones zum ersten Mal seit Jahren wieder schwarze Zahlen.
Erfolgreiche Selbstbestimmung
Den neuen Kurs schlug Waterstones vor sechs Jahren ein: Statt mit einem zentralisierten Einkauf den Geschmack der Masse zu bedienen, dürfen die Mitarbeitenden in den einzelnen Filiale seither das Sortiment bestimmen.
Lieblinge statt Zugpferde
Im Gegenzug verabschiedete sich Waterstones von der gängigen Praxis, dass Verlage ihre Titel zeigen können, und dafür den Buchhändlern besseren Konditionen oder Zuschüssen beim Einkauf gewähren.
Im Schaufenster und auf Büchertischen von Waterstones finden sich also nicht mehr die Zugpferde der Verlage, sondern die Lieblinge der Buchhändler.
Lokale Vorlieben berücksichtigen
Das Prinzip dahinter heisst Empfehlungsökonomie: Mund-zu-Mund-Propaganda wird längerfristig höher gewertet als das Marketingbudget eines Verlages.
Ausserdem richtet jede Filiale sich am Geschmack des lokalen Publikums aus. Dadurch schrumpfte die Zahl der unverkauften Bücher, die an Verlage zurückgesendet werden: Haben die Filialen früher jedes siebte unverkaufte Buch zurückgeschickt, ist es heute nur noch jedes dreissigste Exemplar.
Ein Modell für die Schweiz?
Könnte das Rezept von Waterstones auch den Schweizer Buchhandel ankurbeln? Schliesslich erzielte der dieser laut dem Branchenverband SBVV im vergangenen Jahr 4,2 Prozent weniger Umsatz als 2015.
Für den Marktführer des Schweizer Buchhandels ist die Idee wenig neu. Alfredo Schiliro, Pressesprecher von Orell Füessli Thalia, sagt: «Regionale Ausrichtung funktioniert bei uns seit langem sehr gut.»
Als Vorzeigebeispiel nennt er die Buchhandlung Stauffacher in Bern, die zu Orell Füssli Thalia gehört, aber unter eigenem Namen und mit einem eigenen Konzept auftritt: «Dort werden etwa lokale Autoren in den Vordergrund gestellt, die Auszubildenden kommen aus der Region Bern, das Restaurant verkauft lokale Speisen. Und beim Sortiment haben die Filialleiter grosse Autonomie.»
Das Marketing wählt aus
Markus Wieser, unabhängiger Vertreter verschiedener deutschsprachiger Verlage im Schweizer Buchhandel, widerspricht: «Regionalisierung und intensive Kundenbetreuung haben im Schweizer Buchhandel eine grosse Wirkung. Aber bei den Grossbuchhandlungen sehe ich solche Bestrebungen im Moment noch nicht.»
Der «Status Quo» bei Buchladenketten ist in Markus Wiesers Augen viel mehr: Das Marketing spielt eine grosse Rolle, die Titel werden von oben herab ausgewählt.
Die Zukunft heisst Beratung
Markus Wieser glaubt, dass vor allem eins in Zukunft für den Buchhandel wichtig ist: kompetente, persönliche Beratung. Für Buchhandlungen mit grosser Verkaufsfläche sei es sehr personalintensiv, diese anzubieten.
Ausserdem lasse sich das nicht von heute auf morgen aufbauen: «Denn die grossen Buchhandlungen wurden oft eher als Selbstbedienungsläden begründet.»
Buchladen statt Online
Mehr Selbstbestimmung der Filialen würde längerfristig nicht nur den Buchhändlern zugute kommen – sondern könnte auch helfen, wieder mehr Kunden in die Buchläden locken. Denn: «Es werden in der Schweiz nicht weniger Bücher verkauft, der Markt hat sich nur Richtung Online-Geschäft verlagert.»
Doch wenn die Grossen in Zukunft die Kleinen nachahmen – wird es für die inhabergeführten Buchläden dann nicht eng? Markus Wieser sieht darin keine Gefahr, im Gegenteil: «Dadurch würde letzlich die Attraktivität des Lesens befördert.» Was wiederum bedeuten würde, dass man viele zusätzliche Leser und Leserinnen gewinnen könnte, die den Buchladen – sei er gross oder klein – der Onlinebestellung vorzuziehen.