Was hat es mit der unbekannten Umberto-Eco-Novelle auf sich? Da ist ein deutscher Germanist auf einen echten Literatur-Krimi gestossen. Die Hauptrolle darin spielt der 2016 verstorbene Umberto Eco («Der Name der Rose»). Niels Penke staunte nicht schlecht, als er Ende 2022 im Katalog eines Antiquariats ein vergilbtes Buch von Eco entdeckte, von dem er noch nie gehört hatte: «Carmen Nova» , eine Novelle mit 60 Seiten. Nach gründlicher Prüfung kam er zum Schluss: Es muss sich beim Text um eine Fälschung handeln. Die Geschichte ist ein Krimifall, der dem Semiotiker Umberto Eco selbst wohl gut gefallen hätte.
«Carmen Nova», eine Fälschung: Wieso? Der Germanist der Uni Siegen hat den Text zunächst als authentischen Eco-Text gelesen. Aber weder in Ecos Nachlass noch in seiner Bibliothek gibt es Anzeichen dafür, dass Umberto Eco der wahre Verfasser von «Carmen Nova» ist. Ausserdem ist der Text in der gesamten Forschung zu Umberto Eco – in keinem Handbuch, keiner Monografie, keinem Aufsatz – jemals erwähnt worden. «Dass bei einem Autor wie Eco ein Text komplett unter dem Radar segelt, ist unwahrscheinlich», sagt Niels Penke. Es sei unvorstellbar, dass ein Bestsellerautor einen entlegenen Text jenseits von allem publiziert haben sollte, der komplett in Vergessenheit geraten ist.
Worum geht es im falschen Eco? Bei «Carmen Nova» handelt es sich um eine Kriminalnovelle, die 1983 in der Doppelnull Edition in Zürich erschienen sein soll. Auf dem Cover prangt Botticellis Primavera, die Seiten sind vergilbt. Die Hauptfigur hangelt sich über 60 Seiten hinweg und sucht eine Carmen. Um wen es sich dabei handelt – die literarische Figur aus der Novelle von Prosper Mérimée oder aus der Oper von Bizet – sei unklar, so Niels Penke. Zu der gefälschten Novelle gehört auch ein Nachwort des französischen Philosophen Roland Barthes – ebenfalls fingiert.
Wer hat den Text nun verfasst? Es müsse sich um jemanden handeln, der oder die Anfang der 1980er-Jahre Literaturwissenschaft oder Philosophie studiert hat, vermutet der Germanist. Der Text zeugt von einer grossen Kenntnis des Schriftstellers und Gelehrten Eco, aber auch von dessen Werk. Darauf lassen das Nachwort, das Vorwort, Kommentare, Anmerkungen und Interviews im Text schliessen. Laut Niels Penke müssen Leute vom Fach dahinterstecken. «Diese sind aber – und das ist der wahre Clou dieses Produkts – komplett hinter diesem Buch verschwunden.»
Kann man den wahren Verfassern auf die Spur kommen? Zur Lösung des Rätsels verfolge er drei Ansätze, so Penke. Erstens könne man mit digitalen Methoden arbeiten und etwa mit künstlicher Intelligenz Textvergleiche anstellen. Zweitens könnte eine forensische Analyse des Papiers Aufschluss geben: «Wo könnte das Buch gedruckt worden sein? Was ist das für Papier, das für den Einband und für das innere Buch verwendet wurde?» Eine dritte Spur schliesslich führe ins Raubdruckmilieu, so Penke. «Carmen Nova» wurde in den 1980er-Jahren nachweislich im Zusammenhang mit anderen Raubdrucken vertrieben, also auf Büchertischen vor der Uni-Mensa oder in Kneipen im Bauchladen.»