Unsere Vorfahren haben oft packende Geschichten zu erzählen. Und als Nachkomme denkt man sich: Das gäbe doch genug Stoff für ein Buch! Doch wie schreibt man Geschichten anderer auf? Wie verfasst man eine Biografie?
Zora del Buono, Autorin des biografischen Romans «Die Marschallin» über ihre Grossmutter (siehe Kasten), gibt für Laien Tipps zum Verfassen von Lebensgeschichten – und warnt vor den grössten Gefahren.
SRF: Wie kann ein Nicht-Schreibprofi entscheiden, ob die Geschichte eines Verwandten überhaupt lohnend ist, um zu Papier gebracht zu werden?
Zora del Buono: Jede Lebensgeschichte ist es wert, niedergeschrieben zu werden. Man kann auch über eine Näherin viel erzählen, die ihr ganzes Leben lang nur im Toggenburg genäht und keine Familie hatte. Es ist immer eine Frage, wie man die Geschichte erzählt.
Wie wird ein Text interessant, auch wenn er von einem scheinbar ereignisarmen Leben handelt?
Es ist wie beim Film: Es braucht einen rhythmischen Wechsel der Einstellungen – Totalen wie Detailaufnahmen.
Im Text braucht es etwa sowohl Schilderungen der Lebenswelt als auch Zooms auf Einzelheiten, beispielsweise eine genaue Beschreibung, wie der gebrechlich gewordene Grossvater die Suppe schlürft.
Genügt es, mit der betreffenden Person zu reden oder braucht es vertiefte Recherche?
Das Reden ist das Allerwichtigste. Wenn die Person noch lebt, sollte man viel Zeit dafür investieren. Erhellend ist es jedoch, wenn man zusätzlich mit anderen Menschen spricht, welche die Person kennen. Das eröffnet neue Perspektiven.
Und dann darf auch die eigene Beziehung zur beschriebenen Person in die Beschreibung einfliessen. Man hat meistens aufgrund einer spezifischen Erinnerung oder einer tieferen Berührung ausgerechnet diesen Menschen zum Gegenstand gewählt.
Soll während der Gespräche das Aufnahmegerät laufen?
Wenn ich Zitate drin haben will und die Person selbst sprechen lassen möchte, braucht es die Aufnahme. Ich lasse das Aufnahmegerät meistens laufen, aber höre das Band nachher kaum je ab, weil ich mir die wichtigen Dinge notiere.
Notizen dürfen aber nur kurz und stichwortartig sein. Es gibt nichts Schlimmeres als ein Gegenüber, das immer krampfhaft etwas kritzelt.
Es gibt nichts Schlimmeres als ein Gegenüber, das immer krampfhaft etwas kritzelt.
Stichwörter haben übrigens auch den Vorteil, dass sie uns später beim Schreiben auf überraschende Ideen bringen können. Das habe ich persönlich schon oft erlebt.
Dann braucht es nicht unbedingt zusätzliches Material wie Briefe oder Tagebuchaufzeichnungen?
Doch. Ich finde jedes alte Papier hilfreich, das man findet. Ich habe für «Die Marschallin» absolut verblüffende Dokumente gefunden zur politischen Karriere meiner Grosseltern. Alte Dokumente vermitteln zudem eine Stimmung. Das ist beim Schreiben nützlich.
Was ist aufgrund Ihrer Erfahrung mit dem Roman «Die Marschallin» der grösste Fallstrick beim Schreiben einer Lebensgeschichte?
Der Versuch, vollständig sein zu wollen. Ein guter Text lebt von den Auslassungen. Dazu muss ich wissen, was die Essenz ist, um die es mir geht. Es führt zu nichts, sich chronologisch durch ein Leben vorarbeiten zu wollen.
Hat man als Nachkomme überhaupt das Recht, das Leben eines Vorfahren aufzuschreiben?
Es wird in der Verwandtschaft auf jeden Fall Leute geben, die eine Biografie als anmassend empfinden oder die sagen, es sei doch alles ganz anders gewesen. Das gehört zum Berufsrisiko.
Das Gespräch führte Felix Münger.