Sibylle Lewitscharoff war gerade mal 13, als sie mit LSD eine Erfahrung machte, die ihr ganzes späteres Leben beeinflussen sollte. Die Schriftstellerin spricht offen über dieses ausserordentliche Erlebnis:
«Ich fuhr mit der letzten Strassenbahn in Stuttgart hügelaufwärts, war fast alleine in diesem Abteil. Oben glänzte der Sternenhimmel und der jüngst verstorbene Vater und die Grossmutter winkten mir ausserordentlich freundlich aus dem sternenbesäten Firmament zu.»
Mit LSD andere Welten erkunden
Es sei das «absolute Glück» gewesen, sagt Lewitscharoff immer wieder, wenn sie über dieses Ereignis spricht. Die heute mehrfach preisgekrönte Autorin war 11, als sie ihren geliebten Vater an Suizid und kurz darauf ihre Grossmutter verlor. Ein Tiefstschlag.
Die Einnahme von LSD sei ein Versuch gewesen, andere Welten und Dimensionen zu ertasten, erklärt Lewitscharoff. Noch heute nähre sie sich literarisch von diesen Erfahrungen. Lewitscharoff ist von den anderen Welten fasziniert und schreibt Bücher über das Jenseits und den Tod.
Nicht zuletzt deshalb nennt sie sich eine «Todessammlerin»: Die Autorin will immer wissen, wie Leute gestorben sind: «Wie war die Person? Wie hat das Letzte stattgefunden? Stand es mit Religion in Verbindung? Hass auf Religion? Verzweiflung? Glück?»
Tod und Teufel in Lateinamerika
Lewitscharoff kommt ins Schwelgen und Schwärmen, wenn es darum geht, über das Jenseitige zu schreiben: «Ich finde das eine gute literarische Fiktionswelt. Aber besonders im deutschen Sprachraum ist das leider aus der Mode gekommen.»
In Lateinamerika hingegen, wo Lewitscharoff zeitenweise gelebt hat, sei die Jenseitsfabrikation sehr gefragt. Da werde etwas erhascht vom Totenreich, vom Teufel oder von Gott. Genau das habe sie immer so fasziniert, erzählt die Schriftstellerin.
Dass Lewitscharoff literarisch immer wieder vom Tod eingeholt wird, erklärt sie mit dem frühen Tod des Vaters. «Ich glaube, dass ich ein Leben lang am Selbstmord meines Vaters rumbohre. Das hat mich für dieses Thema enorm aufgeschlossen.»
Den literarischen Ausweg aus diesem Schicksalsschlag hat sie nicht umsonst gewählt. Denn im Schreiben sei sie eine «souveräne Meisterin des Universums», die über Leben und Sterben gebietet. «Was die Literatur da vermag, ist grossartig und gleichzeitig grössenwahnsinnig – ohne jemandem zu schaden.»
Um über das Himmlische und Jenseitige zu schreiben, brauche es eine eigene Sprache. Lewitscharoff sagt: «Wenn der Sprachraum begrenzt und nur auf Realien fokussiert ist, kann man gar nichts in dieser Art formulieren». Um sprachlich in den Himmel zu gelangen «brauchen sie luftdurchlässige Wörter, durch die auch ein wenig das himmlische Weben zieht.»
Treffen im Jenseits
Wenn sie im Jenseits angekommen ist, möchte Lewitscharoff als Erstes den irischen Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Samuel Beckett treffen und mit ihm diskutieren. Er ist gemäss Lewitscharoff ein «Jenseitsbohrer von hoher Gnade».
Und das Wiedersehen mit der eigenen Familie? Darauf sei sie eigentlich nicht so scharf. «Ein fernes Winken und mehr nicht» meint sie lapidar. Vielmehr würde sie hingegen ein Gespräch mit einem Lastwagenfahrer interessieren.