Federica de Cesco, Sie haben über 50 Bücher für Kinder und Jugendliche veröffentlicht, mit Ihren Geschichten ganze Generationen beeinflusst ...
Ja, ich habe ein Talent, das ich ausleben darf. Dafür bin ich sehr dankbar. Menschen, die ihre Begabung nicht entwickeln können, in ihrer Berufung gedrosselt werden, laufen Gefahr, den Verstand zu verlieren. Ich würde verrückt werden, bin mir meines Glückes durchaus bewusst.
Aber die Tatsache, dass ich Bücher schreibe, diese Bücher über Jahrzehnte hinweg gelesen werden, ist noch lange kein Grund, die Bodenhaftung zu verlieren. Ich will bescheiden bleiben. Das gelingt mir auch gut: Wann immer ich versuche, mich selber wichtig zu nehmen, muss ich lachen.
Haben Sie sich auch amüsiert, als Ihr Erstling, «Der rote Seidenschal», zum Bestseller wurde?
Und ob! Ich war bei der Veröffentlichung noch in der Schule und hatte das Gefühl, meinen Lehrern einen Streich gespielt zu haben. Schliesslich war ich nicht gerade als Vorzeigeschülerin bekannt. Ganz im Gegenteil. Und dann gelang ausgerechnet mir der Coup mit dem Buch (lacht).
«Der rote Seidenschal» ist übrigens auf meinem langen, sehr langen Schulweg entstanden. Ich ging zu Fuss, liess meine Gedanken wandern. Wortwörtlich. Stundenlang. Dabei entstand die Abenteuergeschichte von Ann. Schon witzig: Hätte ich damals die Strassenbahn genommen, wäre ich vielleicht nie Schriftstellerin geworden.
Wie erklären Sie sich eigentlich den unglaublichen Erfolg Ihres Erstlings?
Mit dem Buch habe ich sehr vielen Mädchen einen Schlüssel in die Hand gedrückt: den Schlüssel zur Freiheit. Das ist mir erst vor ein paar Jahren bewusst geworden, als mich wiederholt ältere Frauen ansprachen und darauf hinwiesen, dass Ann Morrison sie gelehrt habe, selbstbewusst zu sein.
Ann, die Protagonistin, bricht aus der Enge aus.
Ja. Sie trägt Jeans, galoppiert durch die Wüste, rettet ein ganzes Indianerdorf. Das war neu. Interessante Bücher, die in fremde Länder entführten, gab's bis dato nur für die Buben. Uns Mädchen blieben höchstens die Ursis und Bethlis und Vrenelis, die im Rahmen ihres Haushaltsjahres einen kleinen Trip nach Paris unternahmen. Eine weibliche Figur, die wie ein Junge tickte, sich also nicht ständig fragte «Darf ich das?» – das war Ende der 1950er eine Revolution, ein literarischer Befreiungsschlag.
Und heute? Braucht’s die aufmüpfige Ann auch heute noch?
Beiträge zum Thema
Nein (lacht). Wobei: doch. Ich habe leider festgestellt, dass sich bei den heutigen jungen Frauen zwar der Körper frei und gesund entwickeln kann, sich in Luft und Sonne bewegen, dem Geist hingegen fehlt es noch immer an Flügeln.
Ich erinnere mich an ein Mädchen, das mir im Rahmen eines Workshops eine selber erfundene Geschichte erzählt hat: In der Story opferte sich eine Stute, um drei Hengsten die Freiheit zu schenken.
Das hat Ihnen nicht gefallen.
Nicht gefallen? Ich hätte mir vor Verzweiflung beinahe die Haare vom Kopf gerissen. Am liebsten würde ich diesen jungen Mädchen und Frauen, die sich ständig selber zurücknehmen, laut zurufen: Seid stark, verdammt nochmal. Lebt eure eigene Freiheit ... Pardon. Vielleicht müssen Sie das «verdammt nochmal» streichen. (überlegt) Wobei ... Nein, nein, wenn Sie wollen, dann schreiben Sie's ruhig dazu.