Ich wache auf mit der Gewissheit schwanger zu sein. Mein bisheriges Leben ist vorbei.
Ich wiesle in Finken zur Apotheke und bestelle den Frühschwangerschaftstest, von dem immer Werbung kommt, wenn ich auf Youtube Yoga with Adriene schauen will.
«Ich bi schwanger. – Was! – Ja. Ide zweite Wuche. – Bisch scho bim Arzt gsi? – Nei, min Clearblue Tescht hets gseit. – Ui nei, wüki. – Ja wüki. – Krass. – Gäll. S Einzige woner mir nöd verratet: is en Bueb oder es Meitli? – Hihihihihihi.»
Die Apothekerin kichert genauso blöd, als sie sich genötigt fühlt, mir zu erklären, dass ich den Test mit dem starkdosierten Morgenurin machen soll. Urin, sagt sie, hihihi.
Ich weiss, sage ich, und mache mir fast in die Hosen, aber nicht vor Lachen, sondern weil ich es eben schon weiss.
Der Test ist teuer und negativ. Alles ist gut.
Um Betonblöcke erleichtert, fliege ich auf den Zug. Darin treten sich all jene auf die Füsse, die sich nicht zu den gutausgebildeten Gutverdienern zählen dürfen, denen das Wohnrecht in der Stadt gebührt. Ich betrachte mich in der fettigen Scheibe und bereue, dass ich es wieder nicht geschafft habe, meine 120 Tuben mit Gesichts-Hals-Poren-Ohren-Dekoltee-Cellulite-Hühneraugen-Hornhaut-Reinigung, sowie die Glanzstrahler-Tonics und Frühfaltenfüllenden Cremchen zu benutzen und mir weder Hände noch Füsse noch Lippen noch Augen lackiert, und mich dazu schon wieder gedrückt habe, mir unter lautem Geschrei alle Haare an den Zehen und Beinen und im Gesicht und überhaupt überall auszureissen.
Die Servierdüsen im Bordbistro sind da bessere Vorbilder. Sie tragen knappe knallenge Minis und stöckeln auf schwarzen Schühchen. Knöpfe platzen vom Busen. Der Zug ist schnell und wackelt sehr, die Kaffeetassen klirren. Die Mädchen schwenken, stolpern, knaksen, balancieren die Hüften, stossen festgeschraubte Tischkanten. Die Geschäftsmänner johlen, erregtes Schnauben, klatschen – die Mädchen bücken und klauben die Scherben.
Im Hauptbahnhof zieht der Frauenmarsch vorbei, sie skandieren die feministische Revolution. Über sie wacht eine halbnackte, nur mit einer beinquetschenden Strumpfhose bekleidete Wunderriesin. Sie lächelt in den Claim: «Revolution der Silhouette».
Im Büro komme ich gerade rechtzeitig zur täglichen Stippvisite des Chefs. «Morgen Ladies», schmettert er, «wie läufts?» Meine Vorgesetzte zieht den Kopf ein und entschuldigt sich für den chaotischen Hühnerhaufen. Dabei zeigt sie auf uns, ihre Mitarbeiterinnen, wie wir kerzengerade da sitzen und kompetent und ohne Mittagspause und mit Zehnfingersystem engelsgeduldig unsere überwiegend männlichen Kunden einmal mehr von unseren Fähigkeiten überzeugen müssen.
Im WC verdrücke ich schnell drei Farmer hintereinander, die Praktikantin betrachtet sich im Spiegel. Nach einer Weile zuckt sie die Schultern und sagt: Zum Glück habe ich einen Damenbart. Auf den werde ich bei meinem nächsten Bewerbungsgespräch hinweisen. Vielleicht kriege ich dann endlich Lohngleichheit.
Nach Feierabend eile ich ins feministische Frauengesundheitszentrum, um mich über alternative Verhütungsmethoden zu informieren. Ich sage, dass ich die Pille eigentlich gut vertrage. Darauf beschimpft mich die Leiterin als fremdgesteuertes, sich vor dem weiblichen Körper fürchtendes, dem Männlichen nacheiferndes Dummchen.
«Wenn ich dich so anschaue», sagt sie, um tiefste Bitterkeit bemüht, «dann frage ich mich, ob die Frauenbewegung überhaupt jemals stattgefunden hat.»
Ich erinnere mich an ein Seminar in der Soziologie, als ich beim Kennenlernbingo keine einzige Kommilitonin fand, die auf die Frage, ob sie sich als feministisch bezeichnen würde, mit ja antwortete. Nur einen Jungen, der mich anstrahlte: «Vielleicht, ja, warum nicht?»
Zurück im Zug versuche ich die Tatsache, dass ich eine Stunde im stickigstinkenden Gang stehen muss, mithilfe meines kleinen hellen Bildschirms zu vergessen. Auf Social Media geht der Frauentag wild. Buben posten Bilder von sich mit pinken Pussyhats und Männer kommentieren Artikel zum Feminismus. «Der Feminismus ist tot», schreiben sie. «Starke Frauen wenden sich vom Feminismus ab», schreiben sie. «Jungs nehmt euch in Acht», schreiben sie, «wenn heute jemand unterdrückt wird, dann die Männer.»
Ich treffe mich mit einem Autorenmann, der schon lange mit mir Bier trinken will. Wir spazieren am Fluss und führen ein Gespräch. Er erklärt, wir Schreibmädchen seien ganz selber schuld, dass wir nicht ernst genommen werden, wenn wir so schöne Portraitfotos auf unsere Bücher drucken lassen. Ich widerspreche und wir wechseln das Thema. Der Mond scheint, und ich erzähle ihm von meiner hormonellen Verhütung. Er hält entsetzt die Luft an, mustert mich von Kopf bis Fuss und sagt: «Du bist nie so schön wie du sein könntest, weisst du das nicht? Wenn du die Pille nimmst, hast du keinen Eisprung, und eispringende Frauen sind statistisch erwiesen die Schönsten der Welt. Du verpasst deinen höchstmöglichen Attraktivitätsgrad und das in deinen besten Jahren!»
Ich klemme mir eine Zigarette zwischen die Lippen, er hält mir das Feuerzeug unter die nase, ich will es ihm aus der Hand nehmen, er sagt: «Tu nicht so emanzipiert.»
Ich schubse ihn in die Fluten und gehe zufrieden nachhause.