Urs Faes: Halt auf Verlangen
Nach einer Krebsdiagnose fährt Urs Faes regelmässig im Tram zur Bestrahlung in die Klinik. Unterwegs hält er spontan Beobachtungen und Erinnerungen fest; der Stift in der Hand gibt ihm Halt: «Du wehrst dich mit Worten gegen das Entschwinden deines Lebens, als könntest Du aufhalten, was sich verlieren will.»
Aus diesen Notizen ist nun sein persönlichstes Buch entstanden. Die existentielle Situation zwingt den Kranken, sich den bisherigen 70 Lebensjahren gnadenlos zu stellen.
Urs Faes tut dies in seiner gewohnt dichten, poetischen Sprache. Und zeigt auf, dass sein Weg zum Schriftsteller nicht Wahl, sondern Bestimmung war.
stel
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Julia Weber: Immer ist alles schön
«Ganz, ganz wunderbar», sagt Mutter. Der kleine Bruno: «Immer ist alles schön. Das ist wegen dem Bier». Seine Schwester Anais: «Es ist wirklich schön».
Schon diese kurzen Sätze zeigen eindrücklich, wie diese Figuren funktionieren. Die Mutter braucht Alkohol, um ihre Traurigkeit zu betäuben. Bruno sieht klar, kann aber nichts tun und Anais möchte vermitteln.
Julia Weber lässt in ihrem Romandebüt ein tapferes Mädchen aus ihrem ungeordneten, tragischen Leben und von schwierigen Familienverhältnissen erzählen, in einer wunderbar zarten, kindlich verspielten Sprache.
stus
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Lukas Holliger: Das kürzere Leben des Klaus Halm
Ein arbeitsloser Filmvorführer, der sich ein zweites Leben erfindet. Ein ideenloser Familienvater, der seine Muse im französischen Grenzgebiet sucht.
In Basel führen Selbstfindungstrips und Grenzüberschreitung schnell über den Rhein. Neues Leben wird da gezeugt, altes zerstört.
Lukas Holliger ist ein verrückter Roman gelungen, in dem nie ganz klar wird, wer hier eigentlich wen erfindet. Am Ende haben sich die Biografien der beiden Männer so stark überschrieben, dass einer von beiden in den Rhein springen muss.
Die Sinnkrise der Männer. Sie ist eine Komödie.
aucp
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Lukas Bärfuss: Hagard
Lukas Bärfuss gelingt mit «Hagard» ein faszinierender Schwellenzeit-Roman. Ein grundsolider Mann lässt alles liegen, entzieht sich einer Gesellschaft, die sich wie auf einer Rolltreppe nur gleichmässig, aber ohne Zukunftsglauben fortbewegt.
Viele Ereignisse in diesem raffiniert erzählten Buch scheinen ganz willkürlich zu passieren. Alle Optionen und verschiedenste Lesarten sind möglich. Fest steht nur, dass es so wie bisher nicht weitergeht.
Der Held verlässt sein geordnetes Leben und folgt wie im Rausch einer völlig unbekannten Frau. «Hagard» ist ein überzeugendes literarisches Plädoyer für Übertretungen.
schj
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Kathy Zarnegin: Chaya
Chaya wird 1979, mit 14 Jahren, mutterseelenallein und ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, aus Teheran in die Schweiz gespült. Fortan sucht sich die junge Frau staunend und aneckend ihren Weg zwischen der persischen und der zentraleuropäischen Kultur.
Hauptakteure in ihrem inneren Kulturkampf sind die Sprachen. Chaya lässt ihre Muttersprache Persisch, eine «Sprache der Bilder», verkümmern, damit Deutsch, diese «Sprache der Begriffe», in ihr wachsen kann.
Daraus resultiert eine Art orientalische Erzählweise in deutscher Sprache: Sie verwebt opulent und zugleich sorgfältig die Erinnerungen an das frauenfeindliche Teheran der Kindheit mit irritierenden Erlebnissen als «Exotin» in der Schweiz.
gasm
Rezension zum Buch:
«Chaya» von Kathy Zarnegin bei «Literatur im Gespräch»
Jonas Lüscher: Kraft
Ein Milliardär aus dem Silicon Valley stellt eine knifflige Frage und bietet ein Preisgeld von einer Million Dollar für die beste Antwort. Die Frage im Roman «Kraft» von Jonas Lüscher lautet: «Warum ist alles, was ist, gut; und wie können wir es verbessern?» Ein deutscher Rhetorikprofessor reist nach Amerika, stellt sich dieser Frage und gerät dabei in eine Krise.
Jonas Lüscher ist ein Autor, der sich pointiert zu politischen Fragen und Zeitphänomenen äussert. Das tut er indirekt auch in diesem Roman. Er stellt grundlegende ethische wie auch politische Fragen.
Zum Beispiel: Wohin führt der Machbarkeitswahn der Wissenschaftler aus dem Silicon Valley? Welche Folgen hat die radikale Marktwirtschaft?
sche
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Flurin Jecker: Lanz
Der 14-jährige Lanz erzählt in einem Schulblog vom Pendeln zwischen seiner gestressten Mutter und dem getrennt lebenden, unzuverlässigen Vater. Nicht selten führt er die beiden an der Nase herum, doch eigentlich fühlt sich der kiffende Junge «wie allein auf dieser Welt».
Seine absolut unbestechliche Ernsthaftigkeit und sein trockener Humor bezaubern den Leser und die Leserin.
Flurin Jeckers Debütroman besticht durch einen ganz eigenen, coolen Sound, durch die unbefangene, dialektale Jugendsprache: «Sie tat, als wäre sie ultra die Sekretärin». Genauso sprechen Teenager.
stus