Mit Klaus Merz werde eine «eher leise, jedoch umso eindringlichere und gewichtige Stimme ausgezeichnet», schreibt das Bundesamt für Kultur. Es vergibt jährlich den mit 40'000 Franken dotierten Grand Prix Literatur für ein Gesamtwerk. Er ist die höchste Literaturauszeichnung der Schweiz.
Klaus Merz’ Werk sei durch «Innenschau und sprachliche Verdichtung» geprägt. Tatsächlich braucht er etwa im Gedicht «Im Gebirg» vom vergangenen Jahr ganze vier Verse, um die Szenerie des anbrechenden Bergfrühlings zu schildern:
«Wenn die Wechte erwacht, / wächst aus ihrem warmen / verschneiten Geschlecht / ein Bub namens Lenz.»
Das ist typisch: Man spürt, da ist einer am Werk, der mindestens so viel wieder streicht, wie er schreibt. Und dadurch den Texten jenen unverwechselbaren schwebenden Ton verleiht.
Lesen und sich einbringen
Der Lyriker und Dichter unterschlägt oft gezielt vermeintlich wichtige Angaben. Um Lesende zu irritieren. Oder vielleicht besser: Um sie anzuregen, die Leerräume kraft eigener Gedanken selbst zu füllen. So heisst es etwa im Gedicht «Zum Schulabschluss» von 2019:
«Vor euch das Leben / als weit verzweigtes / Abstellgleis. / Ein anderes Schienen- / netz steht uns nicht / zur Verfügung. / Und der Prellbock / als letzte Instanz. / Verzeiht.»
Mit einem Minimum an Worten stellt das Gedicht die Frage nach den Möglichkeiten und Beschränkungen des menschlichen Strebens. Und nach der Vergänglichkeit.
Und was lösen die Verse aus? Zuversicht oder Resignation? Wie bei aller starken Lyrik sind in Klaus Merz’ Texten meist verschiedene Deutungen möglich.
Lyrik als Königsdisziplin
Seine erste Veröffentlichung war der Gedichtband «Mit gesammelter Blindheit» von 1967. Zur Lyrik ist er immer wieder zurückgekehrt.
Je älter der Autor wurde, desto konsequenter benützte er sie als Spielfeld, um Stoffe sprachlich auf ihr Innerstes zu reduzieren. Und um zu tieferen philosophischen Bedeutungen vorzudringen.
Gedichte zu schreiben, sagte Klaus Merz einmal in einem Interview mit SRF, sei «wie einen Brillanten zu schleifen, damit möglichst viel Licht in einen kleinen Stein hineingerät».
Lyrische Prosa
Auch Klaus Merz’ Prosatexte sind lyrisch verdichtet. Etwa die Novelle «Der Argentinier» von 2009 über einen Schweizer, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg aufmacht, in Südamerika sein Glück zu suchen.
Oder der Kurzroman «Jakob schläft» von 1997. Das Buch erzählt – autobiografisch grundiert – unter anderem von der Leere, die ein tot geborenes Kind in einer Familie hinterlässt.
Schon der erste Abschnitt des Buchs fasst die belastende psychologische Situation in ein starkes Bild: Im Garten der Familie steht in Erinnerung an den Verstorbenen ein Kreuz. Es hat einen «morschen Fuss», das «Kupferdach ist hauchdünn mit Grünspan überzogen». Und in der Luft «wirbelt Staub».
Die Suche nach sich selbst
Immer wieder hat sich Merz literarisch mit autobiografischen Stoffen und mit Menschen aus seinem Umfeld beschäftigt. Etwa mit seinem behinderten Bruder. Oder mit seinem Vater, der an epileptischen Anfällen litt. Krankheit und Tod sind immer wiederkehrende Motive. Klaus Merz hat sie mit fortschreitendem Alter zunehmend mit einer lichten Heiterkeit in Verbindung gebracht.
Klaus Merz hat Preis um Preis gewonnen. Jetzt also auch die höchste Schweizer Literaturauszeichnung, den Grand Prix. Er war überfällig.