Der Bummelstudent Franz fotografiert Brautpaare an ihrem Freudentag. Sein Vater betreibt ein Hotel im Tirol, eine richtige «Hochzeitsfabrik».
Der Clou des Hauses: Wenn Braut und Bräutigam danach ist, können sie sich in ein «Entspannungszimmer» zurückziehen. Der Moment, wenn sie dann wieder herauskommen, gehört zu den begehrtesten Schnappschüssen des Fotografen.
Was niemand hören soll
Im neuen Roman des Österreichers Norbert Gstrein geht es aber darum, was hinter den Glücksmomenten lauert. Also um Geschichten, die jeder Mensch in seinem Leben hat, von denen er jedoch nicht will, dass jemand anders sie zu hören bekommt.
Einmal verliebt sich Franz. Nicht in eine Braut, sondern in deren Cousine. Sie heisst Sarah, gibt sich als 17-jährige aus und hält die Liebe für überschätzt. Trotzdem überkommt es Franz: Er stürzt sich auf Sarah, küsst sie, obwohl sie protestiert. Wie sich später herausstellt, ist sie erst 13.
Unausgesprochener Kindsmissbrauch
Plötzlich hat Liebe mit Schuld zu tun. Franz kommt der Glaube an die Liebe abhanden. Diesen hatte er noch, «als ich jung war» – so auch der Titel des Romans.
Das Wort «Kindsmissbrauch» braucht gar nicht ausgesprochen zu werden, es schwingt doch mit. Und auch ohne Zeitgeistbegriffe wie «MeToo» zeigt Gstrein subtil die Mechanismen der Schuldverstrickung auf, die dahinterstecken.
Die Braut mit gebrochenem Genick
Das Schuldthema wird noch dominanter, als eine Braut tot aufgefunden wird. Sie stürzte in einen Abgrund.
Der Roman erhält nun Züge eines Thrillers. Aber man merkt beim Lesen bald, dass Norbert Gstrein mit diesem Genre spielt, ohne sich ihm völlig auszuliefern.
Als Mörder der Frau kommt mancher in Frage, auch Franz. Aber überführen lässt sich niemand. Man geht von Selbstmord aus. Franz verzieht sich für Jahre in die USA, wird Skilehrer. Für manche wirkt es wie eine Flucht.
(K)ein Kriminalroman
Virtuos und doch immer unterhaltsam baut Gstrein immer neue Erzählstränge ein. Alles wirkt bei ihm ganz einleuchtend, auch wenn er innerhalb desselben Romans ganz unterschiedliche Register zieht. Nicht zuletzt auch das Register der feinen Satire.
Früher hängte man ihm das Etikett an, er schreibe Anti-Heimat-Literatur. Nun könnte man behaupten, er habe einen Anti-Kriminalroman geschrieben.
Zwar liest sich das Buch spannend wie ein Krimi, aber Gstrein verstösst dann doch mutwillig gegen Genre-Gesetze. Statt die Schuldfrage eindeutig zu klären, wird sie bei ihm immer vertrackter.
Aber ebenso ist sein neues Buch ein grossartiger Anti-Liebesroman: Der Ich-Erzähler ist am Ende vor lauter Ungewissheiten kaum noch in der Lage, Liebe zu empfinden. Und immer mehr zeigt sich, wie wenig man selbst von den Menschen weiss, die einem vermeintlich am nächsten sind.