- Donald Ray Pollock wuchs in Knockemstiff, Ohio auf – ein Ort mit viel Armut und Gewalt.
- Er arbeitet über 30 Jahre als Lastwagenfahrer und begann erst mit 45 zu schreiben. Sein Talent wurde durch Zufall entdeckt.
- Von der Wahl Donald Trumps ist er nicht begeistert. Einige Ideen Trumps befürwortet er aber, zum Beispiel die geplante Limitierung der Amtsdauer für Kongressabgeordnete und Senatsmitglieder.
SRF: In Ihrem Roman «Die himmlische Tafel» herrschen überall Gewalt und Elend. Es wimmelt von Mördern, Säufern, Huren, jeder haut jeden übers Ohr – das Böse und auch das Schwache in den Menschen triumphiert. Eine ziemlich kaputte Gesellschaft, die Sie da porträtieren. Wie kommen Sie darauf?
Donald Ray Pollock: Als ich zu schreiben anfing, las ich ein Interview mit jemandem, der sagte, Erzählungen und Romane bräuchten Ärger und Probleme. Und ich sagte mir: «Da kenne ich mich aus. Das kann ich bringen.»
Ich bin kein besonders guter Schriftsteller. Aber Gewalt, Elend und andere Probleme, das habe ich drauf. Das kommt von selbst. Woher, weiss ich nicht. Denn ich selbst habe ja ein recht gutes Leben gehabt. Aber in Knockemstiff, dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gab es immer eine Menge Arme, recht viel Gewalt.
Ich habe versucht, nette Geschichten zu schreiben. Aber die funktionieren bei mir nicht.
Dazu kommt, dass es sehr schwierig ist, über normale Leute in normalen Situationen so zu schreiben, dass es interessant ist. Es gibt Leute, die können das. Ich nicht. Ich habe versucht, nette Geschichten zu schreiben. Aber die funktionieren bei mir nicht, die wirken papieren.
Sie waren Lastwagenfahrer, jetzt sind Sie ein erfolgreicher Autor. Haben Sie damit den amerikanischen Traum verwirklicht? Haben Sie sich je so empfunden?
(Räuspert sich) Nein. Ich habe immer nur das Gefühl gehabt, grosses Glück gehabt zu haben. Ich habe mit 45 versucht, schreiben zu lernen. Und ich sage immer allen Leuten: «Wenn ich das kann, dann kann das jeder.»
In erster Linie habe ich das Gefühl, ein Riesenglück gehabt zu haben, dass ich es von der Papierfabrik in Ohio nach Zürich ins Kaufleuten geschafft habe.
Wenn ich das kann, dann kann das jeder.
Sie haben die amerikanische Präsidentschaftswahl vor zwei Wochen in Europa erlebt. Wie war das für Sie, sie fern von zu Hause mitzuerleben?
Das war schon eine andere Erfahrung: Wäre ich zu Hause, würde ich wohl eher von Panik ergriffen. Meine Frau ist mit mir unterwegs, und als wir am 9. November in Hamburg aufgewacht sind, war sie ganz ausser sich. Nachdem ich ihre Tränen getrocknet und sie ein bisschen getröstet hatte, ging ich raus, ging durch die Strassen, rauchte ein paar Zigaretten und dachte nach.
Ich habe die Sache zu akzeptieren versucht. Der Mann hat die Wahl gewonnen. Und ich habe acht Jahre George W. Bush überlebt, werde also auch – hoffentlich nur vier Jahre – Trump überstehen.
Zum Sieg von Trump gibt es allerlei Theorien, zum Beispiel dass Hillary Clinton zu fern der arbeitenden Bevölkerung politisiert hat. Wie sehen Sie das?
Ich glaube, man hat sie zu sehr als Berufspolitikerin empfunden. Und auch ich gehöre zu den Leuten, die die Nase voll haben von den Leuten, die in Washington das Sagen haben, und zwar seit 30, 40 Jahren. Trump hat ja eine Liste der Dinge verkündet, die er in seinen ersten hundert Tagen als Präsident ändern will.
Nun bezweifle ich, dass er auch nur etwas davon verwirklichen kann. Aber zwei Dinge auf dieser Liste haben mich wider Erwarten beeindruckt: Er will die Amtsdauer für Kongressabgeordnete und Senatsmitglieder limitieren. Und da wäre ich absolut dafür.
War das eine neue Idee von Trump?
Ich hatte jedenfalls noch nie davon gehört. Ich glaube, das war eine neue Idee. Eine andere Idee war, dass, wer aus dem Kongress oder dem Senat ausscheidet, fünf Jahre lang nicht Lobbyist werden darf.
Auch ich gehöre zu den Leuten, die die Nase voll haben von den Leuten, die in Washington das Sagen haben.
Das klingt einleuchtend. Das überrascht mich.
Mich auch. Wir wissen natürlich nicht, von wem diese Ideen stammen. Aber gut sind sie. Das Problem heute in Washington ist, dass, wenn die Lobbyisten, die Berufspolitiker mal ein Amt erhalten, sie an nichts anderes mehr denken, als wie sie die nächste Wahl gewinnen können. Es geht ihnen nicht darum, für das Volk zu arbeiten. So jedenfalls kommt es mir vor.
Es ist eher das ländliche Amerika, das die Wahl gewonnen hat. Es ist auch das Amerika, in dem Ihr Roman «Die himmlische Tafel» spielt. Einfach vor 100 Jahren. Was ist heute noch so wie damals?
Mein Roman spielt zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Da gibt es einerseits eine starke Tendenz zu technischen Neuerungen und gleichzeitig all diese Leute, die sich dagegen wehren, Farmer, Leute vom Land, wie Sie gesagt haben.
Ein Grossteil von Trumps Wählern sind ja Leute, die keinen anständigen Job finden.
Und dann geht es ganz einfach um den täglichen Kampf, wie man seinen Lebensunterhalt verdient. Ein Grossteil von Trumps Wählern sind ja Leute, die keinen anständigen Job finden, die für den Mindestlohn arbeiten oder nur wenig darüber. Und davon kann man nicht leben und schon gar keine Familie ernähren.
Was könnte Trump denn konkret für solche Leute tun?
Er könnte den Mindestlohn erhöhen, der zurzeit acht Dollar pro Stunde beträgt.
Hat er das je gesagt?
Da fragen Sie den Falschen. Denn ich habe versucht, Trumps Geschwafel während des Wahlkampfs zu ignorieren, so gut es ging. (Lacht) Aber das wäre eine Möglichkeit. Und er hat gesagt, er wolle Fabrikarbeitsplätze in die USA zurückbringen.
Ich selbst habe ja mit 17 die Highschool abgebrochen und habe danach verschiedene Jobs gehabt. Dann hat mein Vater mir eine Stelle in der Papierfabrik verschafft, in der er arbeitete. Das war eine tolle Stelle, wir waren gewerkschaftlich organisiert, ich verdiente gut, es gab einen Vorsorgeplan, eine Krankenkasse und so weiter. Ein junger Mensch, der heute die Highschool abbricht, bekommt niemals eine solche Stelle, wie ich sie 1973 erhalten habe.
Und warum?
Heute gehören noch sieben Prozent der Arbeiter einer Gewerkschaft an. Damals waren es über vierzig Prozent. Doch dann kam Reagan und machte die Gewerkschaften kaputt. Und ich bezweifle stark, dass Trump gewerkschaftlich organisierte Arbeiter anstellt, um seine Hotels zu bauen.
Die stellt er dann an, um seine Mauer gegen Mexiko zu bauen.
(Lacht) Wer weiss. Aber wie gesagt: Viele der Leute, die für ihn stimmen, verdienen nicht genug, um ihre Familien ernähren zu können. Wir leben zum ersten Mal in einer Zeit, in welcher Ihr Vater einen besseren Lebensunterhalt gehabt hat als Sie selbst – zum ersten Mal seit hundert Jahren, meine ich. Das heisst, wir machen Rückschritte statt Fortschritte. Und wie man weiss, ist die Mittelschicht am Verschwinden, und eines Tages gibt es nur noch Reiche und Arme und nichts mehr dazwischen.
Das Gespräch führte Thomas Bodmer.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 25.11.2016, 9:02 Uhr