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Eric Bergkraut: «Hundert Tage im Frühling»
Aus Kultur-Aktualität vom 22.08.2024. Bild: Keystone / Limmat Verlag / Ayse Yavas
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Hommage auf Ruth Schweikert Buch zum Abschied: Eric Bergkraut verneigt sich vor seiner Frau

Die Schweizer Schriftstellerin Ruth Schweikert starb vor gut einem Jahr. Ihr Ehemann Eric Bergkraut hat in «Hundert Tage im Frühling» über die letzten Wochen vor ihrem Tod geschrieben.

Die Schriftstellerin Ruth Schweikert wurde 58 Jahre alt. Als sie im Juni vergangenen Jahres starb, verstummte eine der wichtigsten literarischen Stimmen der Schweiz. Für einen letzten, leisen Nachhall sorgt nun ihr Ehemann, der Dokumentarfilmer Eric Bergkraut. Er hat ein Buch über die Wochen vor ihrem Tod geschrieben. Es heisst «Hundert Tage im Frühling. Geschichte eines Abschieds». Ein himmeltrauriges Buch.

Porträt einer Frau mit braunen Haaren in einem gestreiften Blazer.
Legende: Eigenwillig, pointiert und engagiert. «Hundert Tage im Frühling» ist eine Hommage an die Schweizer Autorin Ruth Schweikert. Keystone / Ayse Yavas

Eric Bergkraut spricht seine verstorbene Frau darin direkt an, in Du-Form. Und es endet mit Schweikerts Tod: «Heute ist der 4. Juni 2023, ein Sonntag. Der Frühling ist vorbei, es sind gut hundert Tage seit der Explosion in Deinem Körper. Ich habe das Bedürfnis, mich vor Dir zu verneigen.»

Über die Schriftstellerin Ruth Schweikert

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Ruth Schweikert zählte – und zählt – zu den renommiertesten Schweizer Schriftstellerinnen. 1964 in Lörrach geboren und in Aarau aufgewachsen, debütierte sie 1994 mit dem Erzählband «Erdnüsse. Totschlagen»; er warf hohe Wellen. Später machte sie mit Romanen wie «Ohio» oder «Wie wir älter werden» von sich reden. 2019 erschien ihr Krebsbericht «Tage wie Hunde».

Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter der Schweizer Literaturpreis und der Schillerpreis.

Neben ihrem eigenen literarischen Schaffen unterstützte sie Nachwuchs-Autorinnen und -Autoren: Über viele Jahre hinweg lehrte sie am Schweizerischen Literaturinstitut. Und immer wieder mischte sie sich auch in politische Debatten ein.

Am 4. Juni 2023 starb Ruth Schweikert an den Folgen ihrer Krebserkrankung. Schweikert war Mutter von fünf Söhnen.

Unheilbar krank

Die Explosion, von der Eric Bergkraut schreibt, ist der Hirntumor, dem Ruth Schweikert im Juni vergangenen Jahres erlag. Einige Jahre zuvor war bei ihr schon einmal Krebs diagnostiziert worden. Sie überwand die Krankheit – zunächst.

Dann kehrte sie zurück: Als Anfang 2023 ein Hirntumor bei ihr festgestellt wurde, begann für Schweikert eine Odyssee durch mehrere Kliniken – bis sie und ihr Mann schliesslich entschieden: Es ist besser, nach Hause zu gehen.

Älterer Mann steht vor einer Wand mit Graffiti.
Legende: Eric Bergkrauts Werk ist berührendes Dokument eines Abschieds – und Mutspender: für das Leben vor dem Tod. Keystone / Limmat Verlag / Ayse Yavas

Ruth Schweikert starb daheim. Als Bergkraut spürte, dass es so weit ist, rief er einen der gemeinsamen Söhne an und bat ihn, schnell zu kommen: «Er lässt Dir ausrichten, er sei glücklich, Dein Sohn zu sein. Da kullert eine Träne aus Deinem linken Auge langsam über die ganze Wange. Es ist die letzte Bewegung in Deinem Gesicht, die ich erinnern werde.»

100 Tage bis zum Tod

Eric Bergkraut dokumentiert in seinem Buch die letzten rund 100 Tage im Leben seiner Frau. Den Verlauf ihres Sterbens. Das zu lesen ist bedrückend, natürlich. Und mitunter wird es auch unangenehm intim, zumal man sich fragt: Wäre Ruth Schweikert einverstanden gewesen mit diesem Sterbeprotokoll?

Bergkraut beschreibt, wie die Bewegungen Schweikerts nach und nach minimaler wurden. Wie sie irgendwann kaum noch den Kopf wenden konnte, dann bloss noch die Augenlider leicht öffnen – und schliessen. Zudem zitiert Bergkraut die blitzgescheiten Gedanken, die Schweikert noch zu äussern geschafft hat.

Bei aller Indiskretion – man spürt Bergkrauts Respekt und Liebe zu seiner Frau in diesem Buch. Mit viel gutem Willen lässt sich sodann auch über sprachliche Holprigkeiten hinwegsehen.

Rückblick auf die gemeinsame Zeit

Für die Zeit nach ihrem Tod gab Ruth Schweikert ihrer Familie ein Credo mit auf den Weg: «Weint um mich, aber freut euch auch, dass es mich gab.»

Bergkraut wiederholt diesen Satz an mehreren Stellen. Es ist der Satz, an dem er sich in dieser Zeit des Abschiednehmens festhält – und wohl auch noch heute.

Über den Dokumentarfilmer Eric Bergkraut

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Eric Bergkraut ist 1957 geboren und studierte an der Schauspielakademie Zürich, bevor er während sieben Jahren als Schauspieler für Theater und Film gearbeitet hat. Filmen lernte er «by doing», auch beim Schweizer Fernsehen, dem er unter anderem durch seine Arbeit für 3sat eng verbunden war. Im Verlaufe der Jahre entstanden für TV und Kino etliche Dokumentarfilme, die Eric Bergkraut selber produziert hat und die verschiedene internationale Preise erhielten.

Im Buch blickt Eric Bergkraut aber auch weiter zurück. Er beschreibt, wie er Ruth Schweikert einst kennengelernt hat. Er erzählt von den Hochs und Tiefs in ihrer Ehe, in ihrem Familienleben. In kurzen, schlaglichtartigen Abschnitten zeichnet er Ruth Schweikert als einen Menschen, der ihn bis zum Schluss beeindruckte.

Mann in Smoking und Frau in schickem Kleid lächeln in die Kamera.
Legende: Ruth Schweikert und Eric Bergkraut (hier beim Zurich Film Festival 2013): direkt und behutsam beschreibt der Autor in «Hundert Tage im Frühling» ihren gemeinsamen Weg. Getty Images / Vittorio Zunino Celotto

2019, nach ihrer ersten Erkrankung, hat Ruth Schweikert einen Krebsbericht mit dem Titel «Tage wie Hunde» veröffentlicht. Das Buch ihres Ehemanns ist nun der Versuch einer Fortschreibung dieses Werks. Vor allem aber ist es: eine Hommage an seine Frau. Eine Verneigung.

Buchhinweis

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Eric Bergkraut: «Hundert Tage im Frühling. Geschichte eines Abschieds». 200 Seiten. Limmat Verlag, 2024.

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Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 22.8.2024, 7:52 Uhr

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