Er sei im positivsten Sinne aufgeregt: «Es ist diese Art von Nervosität, die ich liebe. Sie treibt mich an», sagt Usama Al Shahmani. Dieser Tage nimmt er am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil – als einziger Literat aus der Schweiz. 14 Autorinnen und Autoren stellen sich dort dem harten Urteil der Jury.
Deren Urteil fürchtet Al Shahmani nicht: «Wenn man einen Text schreibt, muss man auch bereit sein, Reaktionen darauf zuzulassen». Und er geht noch weiter: Man müsse sogar bereit sein zu akzeptieren, dass ein Text das eigene Schicksal verändern kann.
Geflohen aus dem Irak, angekommen in der Schweiz
Dass ein Text das eigene Schicksal verändern kann, weiss Al Shahmani nur zu gut: 1971 in Bagdad geboren, musste er 2002 als Anfang-Dreissigjähriger den Irak verlassen, weil er ein regimekritisches Theaterstück verfasst hatte. Zu Hause drohten ihm Gefängnis, Folter, Tod.
Ein Jahr lang dauerte seine Flucht, bis er sich schliesslich in der Schweiz niederlassen konnte. Eifrig lernte er Deutsch im Selbststudium. Heute lebt er in Frauenfeld, ist Vater zweier Kinder und eine feste Grösse im hiesigen Literaturbetrieb.
Sein erster Roman «In der Fremde sprechen Bäume arabisch» wurde mehrfach ausgezeichnet. Sein Zweitling folgte 2020 und trägt den Titel «Im Fallen lernt die Feder fliegen». Sein neues Buch «Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt» wird im August dieses Jahres erscheinen.
Romane aus autobiografischen Stoffen
Was seine Romane eint: Sie handeln von den Traumata, in einer Diktatur aufzuwachsen, von Flucht und Migration, vom Ankommen in einer neuen Kultur sowie den Problemen und Missverständnissen, die damit einhergehen. Kurz: Die Themen sind dicht dran an Usama Al Shahmanis Leben.
Neben dem Verfassen eigener Texte hat er sich auch als Übersetzer einen Namen gemacht. So übertrug er beispielsweise Thomas Hürlimann, Jürgen Habermas und Friedrich Schleiermacher ins Arabische.
Am Anfang war die Grossmutter
Einst hat Al Shahmani im Irak Arabische Sprache und Moderne Arabische Literatur studiert. Sprache, Texte und Geschichten gehören schon lange zu seine grossen Leidenschaften. Bis heute liest er jedes angefangene Buch zu Ende – auch dann, wenn es ihm nicht gefällt.
Seine Liebe zur Sprache habe er von seiner Grossmutter, sagt der 51-Jährige. «Sie war Analphabetin. Trotzdem hat sie mir immer Geschichten erzählt.» Dank ihr habe er erfahren, dass Sprache die Welt gestaltet – «unser Denken, unser Gewissen, unsere Gefühle, unsere Wahrnehmung der Dinge».
Ein Kritiker im SRF-Literaturclub
Seit 2021 gehört Al Shahmani zur Kritikerrunde im SRF-Literaturclub. Sein Credo, wenn er dort auftritt: «Ich möchte die Bücher anderer nicht bewerten, sondern mich mit ihnen auseinandersetzen.»
Diese Art der Kritik sei ihm die liebste: Die, bei der man ganz tief in einen Text hineinsinke, um das Wesentliche herauszufischen. Weniger hingegen möge er jene Art der Besprechung, «bei der man einen Text lediglich als Ausgangspunkt nimmt, um dann über etwas ganz anderes zu reden».
Mit welcher Form der Kritik er wohl beim Bachmann-Wettbewerb konfrontiert sein wird? Usama Al Shahmani ist mit seiner Lesung am Freitag um 12 Uhr an der Reihe.