Es ist inzwischen fast unmöglich, Jessica Jurassica nicht zu begegnen. Vor allem in den sozialen Medien ist sie sehr präsent. Im Sommerloch 2020 hat sogar der «Blick» sie entdeckt, nachdem sie Fan-Fiction über Bundesrat Alain Berset veröffentlichte.
Da Berset seit dem Ausbruch der Pandemie massiv in unser aller Privat- und Intimleben eingreift, hat Jessica Jurassica ihrerseits in Bersets Intimsphäre eingegriffen. Sie dichtete sich ein Date mit ihm an.
Performance nur mit Schutzhaube
Die Folge: Ein Hassgewitter, das auf die Künstlerin niederprasselte. Um geschützter und freier schreiben und performen zu können, tritt Jessica Jurassica nur unter Pseudonym und mit Schutzhaube an die Öffentlichkeit.
Der soeben erschienene Roman «Das Ideal der Kaputten» ist eine Art Making of von Jessica Jurassica: Sie liegt mit Suizidgedanken in einer Hängematte und vergegenwärtigt sich ihr Leben, wie sie, 1993 im Appenzeller Hinterland geboren, zur Schweizer Medien- und Literaturhoffnung gehypt wird, ohne darüber glücklich zu sein.
Sie hat Mühe mit all den Verortungen als Newcomerin, Punk, Rebellin, Feministin. Ungeduldig und doch eher spielerisch als rabiat verschafft sie sich Gehör, misstraut den Erwartungen, die man mit ihrem Kunstnamen verbindet und entzieht sich immer wieder durch Reisen und Drogentrips.
Da zeigen sich Parallelen zur österreichischen Autorin Stefanie Sargnagel, die sich ähnlich aussetzt und im Rausch zur Ruhe kommen will.
Da viel zu viel andächtige Prosa in der Schweiz entsteht, fällt die Stimme von Jessica Jurassica auf. Sie schreibt, um nicht von ihren Erfahrungen erdrückt zu werden, um sich nicht fertig machen zu lassen. Sie hofft, «das System zu stören, würde helfen, das System zu verstehen.»
Jessica Jurassica zeigt in ihrem Roman, was Schreibende erwartet, wenn sie innerhalb der Medien oder der Literatur wirklich unabhängig bleiben wollen: ein Leben im Prekariat, in der Subkultur. Immer einen «Boomer» vor der Nase - einen älteren, karriereversessenen Mann also, der auch in der Kultur weiterhin das Sagen hat.
Romantisiertes Stalking?
Jurassica erwähnt einen Lokal-Feuilletonisten, der ihr in seiner ganzen blasierten Pracht zu verstehen gibt, dass für sein Blatt nur die Hochkultur gut genug sei, er bei ihr aber eine Ausnahme mache. Mit schwankender argumentativer Intensität versucht sie dem toxisch Männlichen in der Literatur auf die Spur zu kommen.
Sie nennt Peter Stamms Schreiben «romantisiertes Stalking», nur weil einer seiner Protagonisten einmal einer geliebten Frau folgt. Oder sie wirft den «Scheiss-Journos» vor, es gehe ihnen letztlich nur um sich selbst. Aber auch ihr geht es um sich. Und darum, als Künstlerin genug Schnauf zu haben, um nicht zu Tode etikettiert zu werden.