«Verpisst euch doch einfach, wenn ihr dies am Bildschirm lest!» So lautet der erste Satz von Joshua Cohens Roman «Buch der Zahlen». Ein Buch spricht zum Leser und wirbt für das Haptische, das Analoge – das Altmodische?
Es ist ein Satz der alle anzieht, die beim Stichwort digitaler Wandel am liebsten weghören. Doch das ist ein Trugschluss. Es geht mitnichten um eine Geschichte, die sich mit der analogen Welt befasst.
Ein erfolgloser Schriftsteller vor dem Ehe-Aus
Protagonist ist ein mittelloser Schriftsteller. Er steht vor den Trümmern seiner Ehe. Sein erster Roman erschien am Tag der Katastrophe von 9/11 und wurde von der Öffentlichkeit missachtet. Seitdem will sich der Erfolg nicht wirklich einstellen. Sein Name: Joshua Cohen.
Dieser Joshua Cohen trifft im Roman auf seinen NamensvetterJoshua Cohen – Herrscher über die Algorithmen, Internet-Tycoon und einer der reichsten Männer der Welt.
Internet-Tycoon Cohen engagiert den Autor Cohen, damit dieser seine Biografie schreibt. Es wird der Austausch zweier hochgebildeter Nerds, ein Gespräch, eine Auseinandersetzung über Lebenseinstellungen und über 40 Jahre Internet-Geschichte.
Suche nach der Wahrheit
«Es gibt nicht drei Joshua Cohens, über die ich schreibe, sondern nur zwei. Der dritte – ich – ist ausserhalb des Buchs», sagt der – echte – Autor Joshua Cohen. Er fügt an, dass er dieses Bedürfnis des Lesers, in Romanen immer nach der Wahrheit, nach echten oder autobiografischen Momenten zu suchen, sehr kindisch findet.
Es gefällt mir, die Fiktion immer mit einer Spur Wahrheit zu garnieren
Joshua Cohen will den Leser nicht schonen, sondern herausfordern. Das spürt man auf jeder Seite des 750-Seiten-Werks. Warum also das Spiel mit den Namen? «Es gefällt mir, die Fiktion immer mit einer Spur Wahrheit zu garnieren», meint Cohen.
Kein Internet-Bashing
Die Wirklichkeit hat den Roman überholt, der im Original bereits 2015 erschien. Der Datenmissbrauch via Facebook, der Ende März bekannt wurde, ist ein gutes Beispiel dafür.
Trotzdem will Joshua Cohen mit seinem Roman kein Internet-Bashing betreiben. Cohen fordert die Benutzer auf, mitzudenken und das «Werkzeug» Internet klug zu nutzen.
Literatur – geschrieben wie das Internet
Zwar hat der Roman eine Rahmenhandlung, doch immer wieder stört Cohen den Lesefluss. Das tut er, indem er beispielsweise kaum verständliche, technische Begriffe über eine ganze Seite aneinanderreiht.
Als Leser zweifelt man mitunter an der eigenen Wahrnehmung: Eben noch wähnte man sich in einer bestimmten Szenerie, schon merkt man, dass man plötzlich woanders ist. Cohen verwehrt seinen Lesern jegliche Narration.
Seitenlang lässt er sich über die Erfindung der Fernbedienung aus. Zapp – sitzt man plötzlich in einer geheimen Pokerrunde mit Johnny Depp und Matt Damon. Man möchte hier eintauchen, aber – zapp, weg, nächstes Thema.
Das Buch macht neugierig
Schnell wird klar: Es ist der Versuch, so zu schreiben, wie das Internet funktioniert. Von einem Thema zum anderen springen. Sich ablenken lassen. Seriöse Informationen suchen. Ein paar Schuhe bestellen. Der Leser muss seine Sicht immer wieder neu kalibrieren. Das liest sich anstrengend, zäh. Und doch: Das Buch macht einen neugierig. Man will mehr.
Joshua Cohens «Buch der Zahlen» ist eine Geschichte über den digitalen Wandel. Aber es ist auch eine Geschichte über Lebenshaltungen, Weltbilder und den eigenen Umgang mit Privatssphäre. Ein Buch, das den Leser herausfordert und am Ende belohnt.