Wie können Jüdinnen und Juden in einer Welt bestehen, in der seit Jahrhunderten der Antisemitismus wuchert? Davon handelt der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Roman «Die Netanjahus» von Joshua Cohen.
Nur nicht auffallen
Im Zentrum der Handlung steht der fiktive Geschichtsprofessor Ruben Blum. Ende der 1950er-Jahre ist Blum der erste jüdische Dozent an der Provinzhochschule im Bundesstaat New York.
Im Alltag erlebt er regelmässig Antisemitismus. So muss ausgerechnet er, der Jude, an seiner Uni alljährlich den Weihnachtsmann spielen. Auf diese Weise, bestellt ihm der Dekan, «können die Menschen, die das Fest tatsächlich feiern, sich umso unbeschwerter amüsieren».
Solche Bosheiten versucht Ruben Blum gelassen zu nehmen. Er bemüht sich, sein Judentum nicht zur Schau zu stellen. Mit Frau und Tochter pflegt er eine möglichst angepasste Kleinfamilien-Normalität.
Bisweilen ist der Hang, sich zu assimilieren, geradezu bizarr. So will sich etwa Blums Tochter ihre Hakennase begradigen. Sie findet sie «zu jüdisch».
Schwarzer Humor
Joshua Cohens Roman ist von einem ironisch-satirischen Ton durchzogen, der sich mehr und mehr ins Irrwitzige und Groteske steigert. Spätestens ab dem Moment, da ein gewisser Ben-Zion Netanjahu mit seiner Frau und den drei halbwüchsigen Söhnen auftritt.
Netanjahu ist ein jüdischer Historiker aus Jerusalem und radikaler Zionist. Ihn hat es tatsächlich gegeben. Verbürgt ist, dass er sich 1960 – wenn auch vergeblich – um einen Lehrauftrag an einer Uni in den USA bemüht hatte.
Im Roman ziehen die Netanjahus für die Zeit des Bewerbungsverfahrens in Blums Haus ein. Sie bringen die Welt der angepassten Diaspora-Judenfamilie durcheinander.
Rabiate Ansichten und Situationskomik
So vertritt der politisch rechtsaussen stehende Ben-Zion Netanjahu die rabiate These, Jüdinnen und Juden in der Diaspora seien auf dem Holzweg, wenn sie sich in der liberalen Demokratie zu assimilieren versuchten.
Wer jüdisch sei, tue besser daran, ohne Wenn und Aber die Andersartigkeit zu betonen. Parallel zur streitbaren These des Vaters stellen die Netanjahu-Söhne Blums Haus völlig auf den Kopf: Einer zertrümmert den Fernseher, ein anderer liegt in den Scherben, ein dritter, der Älteste, erobert das Schlafzimmer von Blums Tochter Judy.
Mit spürbarer Lust an der Situationskomik schildert Joshua Cohen den Moment, da der Vater den «splitterfasernackten» Eindringling in flagranti erwischt. Während Judy «kreischend an ihrer Zimmertür» steht, schwenkt «sein eigensinniger steifer Penis … mit seinen Schritten hin und her – mal zeigte er unverschämt auf mich, als wollte er mich aufspiessen, mal ragte er steil zur Decke aus seinem drahtig dicht gekräuselten Nest pechschwarzer Haare».
Funken springen in die Gegenwart
Eine Persiflage auf das Zusammenprallen von Welten, voll von Humor, Joshua Cohen in Hochform. Doch das Lachen bleibt stecken.
Denn einer der unflätigen Söhne ist Benjamin Netanjahu – der spätere israelische Rechtsaussen-Politiker und heutige Ministerpräsident Israels. Bekannt für seine kompromisslose Palästinenser-Politik. Offenkundig hat Benjamin Netanjahu viel geerbt von der Radikalität seines Vaters.
Dieser familiäre Bezug verleiht dem satirischen Roman über die prekäre Situation des Judentums seine politische Tiefe. Und macht ihn beklemmend aktuell.