Der US-amerikanische Autor sprach Deutsch. Das hatte einen einfachen Grund: Er wurde zwar in den USA geboren, doch seine Eltern waren Deutsche, die in den 1920er-Jahren in die USA eingewandert waren.
Eric Carles Mutter litt unter Heimweh. Als die Grossmutter mütterlicherseits während eines Besuchs vorschwärmte, wie Hitler Arbeitslosigkeit und Hunger ausgemerzt habe, zog die Familie kurz darauf samt dem sechsjährigen Eric nach Stuttgart. Das war 1935.
Streifzüge durch die Natur
Die Eltern lebten sich in Stuttgart schnell ein. Wichtig waren für Eric Carle die Spaziergänge, die er am Wochenende mit dem Vater unternahm.
«Er hat mich an der Hand genommen und durch Wälder und Wiesen geführt», erinnert sich der Bilderbuchautor einmal in einem Interview. «Und er hat mir erzählt, wie Ameisen, Bienen und Raupen leben und wie sich die Fische und Frösche entwickeln.»
Mit einer Raupe zum Ruhm
Die kleinen Tiere, die sich hinter der Baumrinde oder unter Steinen versteckten, hatten es Eric Carle besonders angetan. Diese Spaziergänge mit seinem Vater finden sich auch in seinen über 70 Bilderbüchern wieder. So auch in seinem Welthit von 1969: «Die kleine Raupe Nimmersatt».
Die Zeit in Nazideutschland war für Eric Carle jedoch kein Sonntagsspaziergang. Im Unterricht gabs Schläge auf die Hände. Dann musste die Klasse Schützengräben ausheben helfen. Und weil der Junge schmächtig war, wurde er zur Erholungskur geschickt. Hier wurden untergewichtige Kinder regelrecht gemästet.
Bauchweh vor der Metamorphose
Auch dieses stete Essen, sagte Eric Carle in einem Interview, sei in der «Raupe Nimmersatt» enthalten, wenn auch in anderer Form: So hat die Raupe zum Beispiel, nachdem sie sich durch Schokoladenkuchen, saure Gürkchen und Ähnliches gefressen hat, Bauchschmerzen.
Der Raupe Nimmersatt geht es allerdings bald besser. Sie wird zum schönen Schmetterling.
Moderne Kunst im Versteckten
Auch Eric Carle fand sein Schlupfloch aus der harten Realität: mit Malen und Zeichnen. Sein Talent fiel den Lehrkräften auf.
Für seine Prägung als Künstler war ein Lehrer massgeblich, sagte Eric Carle. Ein Herr Krauss zeigte ihm sogenannte entartete Kunst: «Er zeigte sie mir im Geheimen bei sich zuhause und gemahnte mich, nicht darüber zu sprechen.» Es war das erste Mal, dass Eric Carle moderne Kunst sah.
Wandlung nach der Werbung
Nach der Schulzeit besuchte Eric Carle in Stuttgart die Kunstschule und ging nach der Ausbildung augenblicklich zurück in die USA.
Er fand eine Anstellung als Grafiker bei der New York Times, später in Werbebüros. Zum Kinderbuch kam er, als ein Autor ihn fragte, ob er seine Geschichte illustrieren würde. Das gefiel Eric Carle dermassen gut, dass er fortan selbst Geschichten schrieb und diese zugleich illustrierte.
Charakteristisch für all seine Werke ist seine Collagentechnik mit Seidenpapier. Bis ins hohe Alter machte Carle noch Bilderbücher: Sie erzählen vor allem von Tieren, meist kleinen, verborgenen, die man entdecken kann bei Spaziergängen in der Natur.
Jetzt ist der «Raupe Nimmersatt»-Autor mit 91 Jahren gestorben, wie seine Familie am Mittwoch auf seiner Webseite mitteilte. Sein Vater sei in seinem Studio im US-Bundesstaat Massachusetts einem Nierenversagen erlegen, sagte Sohn Rolf der «New York Times».