Wir haben uns beim Kinobesuch an einiges gewöhnt. An Multiplex-Kinopaläste namens «Hollywood», in denen es funkelnd und bunt aussieht wie einer Abflughalle, wo mehrere Filme gleichzeitig gezeigt werden (Gate A17 für «Les Intouchables», Gate B7 für den neuen James Bond).
Und an gelenkte Zuschauerschlangen wie beim Sicherheitscheck, an den durchdringenden Geruch von Popcorn und mächtig viel Rummel bereits vor dem Film. Das war früher auch schon anders – denkt man als kulturpessimistischer Nostalgiker.
Zwischen Aubonne und Heerbrugg
Doch halt: Die Reise in die Schweizer Kinolandschaft, die die Herausgeberinnen Sandra Walti und Tina Schmid in ihrem Buch anbieten, zeigt deutlich, dass es dieses andere Kino immer noch gibt.
An vielen Orten zwischen Chiasso und Schaffhausen, zwischen Aubonne und Heerbrugg, in grossen Städten, aber auch auf dem Land. Dort gibt es diese Kinos namens «Rex, Roxy, Royal» noch, wo immer noch Autorenfilme gezeigt werden und die auf ihre oft ganz bescheidene Art eine bestimmte Kino-Magie erzeugen.
Ein Stück architektonische Zeitgeschichte
111 Kinosäle werden porträtiert, in Bildern, die etwas erzählen über den Charakter dieser Orte. Man sieht zweckentfremdete, aber auch spezifisch für Kinobedürfnisse gebaute Gebäude, schmucklose oder alltägliche Fassaden, hinter denen sich nüchterne Sitzreihen mit guter Sicht auf eine Leinwand verstecken, aber auch Interieurs, die an gediegene Theatersäle erinnern.
Hier zeigt sich architektonische Zeitgeschichte: das Design der Leuchtröhren über den Kinoeingängen, die in rot gehaltenen Spannteppiche mit schwarzen geometrischen Mustern – alles lässt sich zeitlich festmachen.
Cinéphile Bäcker und filmbesessene Wirte
Noch spannender sind aber die Geschichten dieser Kino-Orte, wie sie in kurzen Texten erzählt werden. Zum Beispiel wie 1928 der grösste Saal der Schweiz, das «Capitole» in Lausanne mit seinen 867 Plätzen, entstand. Oder wie einst im Val de Travers im Kanton Neuenburg drei Kinos existierten, von denen nur das «Colisée» in Couvet überlebt hat.
Amüsant ist auch die Entstehung des «Ciné Lucarne» in Le Noirmont im Jura, wo der cinéphile Bäcker Pierre Criblez 1957 meinte, der Ort brauche ein Kino und sich eines hinbaute – gleich neben Bahnhof und Bäckerei. Oder die noch ältere des «Inskino» in Ins, Kanton Bern, wo der Wirt Walter Düscher 1936 beschloss, direkt neben seinem Wirtshaus eine Autogarage in ein Lichtspielhaus zu verwandeln; die Vorführkabine befand sich in seinem Schlafzimmer.
Lust auf Kino – auch ohne Filme
Diese Landkinos gibt es heute noch, und auch das erzählt eine Geschichte: wie die Kultur in einem föderalistisch geprägten Land häufig von den Einwohnern kleiner Orte selbst gemacht wird.
Nostalgische Gefühle können schon aufkommen, wenn man diese Bilder sieht, wenn man die Geschichten dazu liest. Man verspürt Lust, an diese Ort zu reisen, etwa nach Pontresina ins «Rex» oder ins «Kino Näfels», das letzte Kino im Glarnerland.
Das ist das Verdienst dieses Buchs, dass es aufzeigt, dass diese Geschichte durchaus eine Gegenwart hat und das wünschen lässt, dass diese vielfältige Kinolandschaft auch eine Zukunft hat.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 23.11.2016, 16:50 Uhr.