1. Paulus Hochgatterer: «Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen»
Drei Freunde und Arbeitskollegen sind in Österreich auf einem Ausflug zum Fliegenfischen – zeitgleich mit den Anschlägen von 9/11. Aber wider Erwarten steht nicht das erschütternde Ereignis aus Übersee im Zentrum. Auch wird keiner Sensationslust Raum gelassen. Vielmehr aktiviert Paulus Hochgatterer mit seiner Erzählung das kollektive Gedächtnis der Leserinnen und Leser. Man erinnert sich, wo man sich zum Zeitpunkt der Anschläge aufgehalten hat, was man gemacht und gefühlt hat. Ein wunderbar stiller Rückzug ins Private, der klar macht: Auch wir hier in Europa waren über den Anschlag tief erschüttert.Paulus Hochgatterer: «Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen». Deuticke, 2003.
2. Jonathan Safran Foer: «Extrem laut und unglaublich nah»
Das Buch erzählt die Geschichte eines neunjährigen Jungen, der seinen Vater bei den Anschlägen auf das World Trade Center verliert. Seine Einsamkeit und Verzweiflung, sein Überlebenswille und seine Trauerarbeit werden physisch spürbar und stehen stellvertretend für den Verlust eines geliebten Menschen. Das wirkt mit unglaublicher Wucht. Foer nutzt im Buch optische Effekte, um die Gefühlswelt des Jungen zu beschreiben. Da ist ein Daumenkino eines «falling man» in umgekehrter Reihenfolge. Einer der nicht nach unten fällt, sondern nach oben. Oder da finden sich Leerseiten, die die Lücke signalisieren, die der Tod eines geliebten Menschen hinterlässt.Jonathan Safran Foer: «Extrem laut und unglaublich nah». Kiepenheuer&Witsch, 2005.
3. Don DeLillo: «Falling Man»
Keith ist Anwalt und arbeitet im World Trade Center. Bei den Anschlägen wird er nur leicht verletzt. Doch die Ereignisse überschatten sein Leben – und die Beziehung zu seiner Frau. Mehr und mehr beginnt er sich abzukapseln. Don DeLillo nimmt den 9. September als Ausgangspunkt seiner Geschichte. Er beschreibt die Taubheit, die 9/11 bei vielen Menschen zurückgelassen hat. Auch ist DeLillo ein Meister des Bildes: Sein Roman lässt die Bilder, die die Medien in unseren Köpfen eingebrannt haben, wieder lebendig werden.Don DeLillo: «Falling Man». Kiepenheuer&Witsch, 2007.
4. Eddie Joyce: «Bobby»
9 Jahre ist es her, dass Bobby beim Einsturz der Twin Towers umgekommen ist. Ein Schicksal, das in diesem Buch stellvertretend für alle Schicksale steht, an die Ground Zero erinnert. Ein Tod, der eine klaffende Lücke hinterlässt im Leben von Bobbys Familie. Joyce gelingt es in sehr realistischer und dialogischer Erzählweise, die Gedanken, Gefühle und Erinnerungen einzufangen, die der Tod eines geliebten Menschen in einem hervorruft. Erinnerungen, die im Alltag präsent sind, die man akzeptieren muss, um weiterleben zu können und die mit den Jahren vielleicht etwas verblassen, aber nie ganz wegbleiben werden. In diesem Sinne ist «Bobby» ist ein gelungenes Post-9/11-Buch über die Alltäglichkeit menschlichen Leids.Eddie Joyce: «Bobby». Deutsche Verlags-Anstalt, 2016.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 9.9.2016, 7.20 Uhr.