Er legt kein Buch weg, das er einmal angefangen hat – und sich zum Lesen lieber nicht ins Bett: CVP-Nationalrat und «Literaturclub»-Gast Gerhard Pfister über seine Liebe zum Büchern. Und die eigenen literarischen Ambitionen.
SRF: Was ist Ihr liebstes Buch?
Gerhard Pfister: Keines und alle. Ich kann diese Frage unmöglich beantworten, weil ich mich nicht entscheiden kann. Es gibt so viele Bücher und Autoren, die ich genial finde.
Man kann immer etwas von Nietzsche zur Hand nehmen.
Ich bin literarisch fast ein Allesleser. Aber natürlich habe ich auch meine «Hausgötter»: Peter Handke, Botho Strauss, Robert Musil, Henry James, viele moderne Amerikaner und Engländer. Jede Aufzählung wäre ungerecht.
Ihr bevorzugter Leseort?
Mein Wohnzimmer. Da habe ich Corbusier-Stühle. Ich lese kaum im Bett. Das finde ich etwas entwürdigend für die Bücher, wenn sie als Narkotikum dienen sollen. Wenn ich im Bett lese, dann was Leichtes.
Welches Buch sollte jeder Politiker gelesen haben?
Robert Musils «Mann ohne Eigenschaften» – aus zwei Gründen. Erstens: Wer dieses Buch gelesen hat, versteht die Moderne. Und zweitens gibt’s darin den schönen Satz: «Wer Wirklichkeitssinn hat, muss auch Möglichkeitssinn haben.» Das ist gerade für Politiker wichtig.
Ein Buch, das Ihnen die Liebe zum Lesen eröffnet hat?
Als ich ungefähr 13 Jahre alt war, sah ich im Büchergestell meiner Eltern Nietzsches «Also sprach Zarathustra». Angezogen von diesem interessanten Titel, las ich das Buch.
Sie mögen es mir glauben oder nicht: Aber ich lege kein Buch weg, das ich zu lesen begonnen habe.
Ich habe nichts verstanden. Aber es löste den Willen in mir aus, etwas zu verstehen, nachzufragen, mehr wissen zu wollen. Genau das, was Literatur auslösen kann: die Liebe zum Weiterlesen.
Ein Buch, das Sie immer wieder zur Hand nehmen ?
Immer wieder Nietzsche, gerade weil seine Werke sich als «Steinbruch an Ideen» eignen. Man kann immer etwas von Nietzsche zur Hand nehmen, seine Werke erfordern keine vollständige Lektüre, kein lineares vollständiges Lesen. Deshalb schaue ich ab und zu gern mal bei Nietzsche rein.
Ein Buch, bei dem Sie zuletzt laut lachen mussten?
Ich muss natürlich ab und zu lachen oder lächeln beim Lesen. Meine konkrete Erinnerung, dass ich mehrmals und laut lachte wegen eines Buches, ist schon etwas länger her: John Kennedy Toole, «Die Verschwörung der Idioten», übersetzt von Alex Capus. Ein politisch absolut unkorrektes Buch über einen von seiner Mutter unterdrückten Sohn, der sich für ein Genie hält.
Leider hat das Buch eine tragische Geschichte. Der Autor fand zeit seines Lebens keinen Verlag für sein Buch. Er beging Selbstmord. Erst posthum wurde ihm der Pulitzer-Preis verliehen. Zu Recht, denn an Sarkasmus und Ironie ist das Buch für mich unübertroffen.
Welches Buch haben Sie zuletzt weggelegt, weil es Sie nicht angesprochen hat?
Sie mögen es mir glauben oder nicht: Aber ich lege kein Buch weg, das ich zu lesen begonnen habe. Habe da irgendwie so eine Respekthemmung vor der Kunst.
Ich spiele mit dem Gedanken, nach dem Ende meiner politischen Tätigkeit einen literarischen Versuch dazu zu machen.
Manchmal schummle ich, indem ich etwas diagonal oder oberflächlicher lese. Aber Abbrechen kommt nicht in Frage. Ich habe einen Buchhändler, der meinen Geschmack kennt. Wenn ich bei ihm vorbeigehe, legt er mir immer Bücher vor, von denen er annimmt, dass sie mir gefallen. Er hat fast immer Recht. Deshalb fällt es mir leichter, alle Bücher fertig zu lesen.
Bei welchem Roman haben Sie physisch gelitten?
Grade beim Buch von Lina Meruane, «Rot vor Augen», über das wir im «Literaturclub» diskutieren. Die drastische Schilderung des Verlusts des Augenlichts ist so eindrücklich, dass es physisch schmerzt. Unglaublich, wie Meruane es schafft, diese Intensität zu erschaffen.
Ein Buch, das Ihnen immer wieder geschenkt wird?
Leider werden mir nur wenige Bücher geschenkt, schon gar keine Literatur. Aber als Politiker erhält man ungefragt viele Sachbücher. Das ist natürlich meistens nützlich für meine politische Arbeit.
Ein Buch, dem Sie mehr Leser wünschen?
«Glastonbury Romance» von John Cowper Powys, und «Fluss ohne Ufer» von Hans Henny Jahnn. Und alles von Gerhard Meier. Das sind drei Autoren, deren Entdeckung für passionierte Leserinnen unglaubliche Horizonterweiterungen sind. Und, und, und … es gäbe so viel tolle Bücher.
Weil ich nicht alles hier sagen kann, empfehle ich das Buch von Rolf Vollmann, das für mich eine Inspirationsquelle ohnegleichen war: «Die wunderbaren Falschmünzer».
In welchem Roman wären Sie gerne als Figur mit dabei?
Nun, wenn es eine literarische Schweizer Adaption der Serie «House of Cards» gäbe, dann würde mich das schon interessieren. Aber es gibt leider kaum Schweizer Literatur, die sich mit Schweizer Politik auseinandersetzt oder sie spannend erzählt.
Thomas Hürlimanns «Grosser Kater» ist eine Ausnahme. Aber wo ist der Schweizer Schriftsteller, der heutige Politik spannend und unterhaltsam darstellen kann? Ich spiele mit dem Gedanken, nach dem Ende meiner politischen Tätigkeit einen literarischen Versuch dazu zu machen.
Aber ich lasse offen, ob mir das gelingen würde. Als Fingerübung im Seniorenalter aber ist’s immerhin eine reizvolle Idee.
Markus Tischer führte das Interview schriftlich.