SRF: Welches Buch haben Sie als erstes gelesen?
Mike Müller: Schwierige Frage. Die Erinnerung ist ja bekanntlich ein «Soucheib», man lässt sich leicht täuschen. Das erste, an das mich spontan erinnere, obwohl ich natürlich schon vorher gelesen habe, ist «Mike Mars».
Das waren US-amerikanische Kampfpiloten, die hinter dem Mond durchfliegen konnten, aber keiner durfte davon wissen. Danach kam «Jan und die Detektive». Und zwar alle 42 Bände.
Die spielen doch in Kopenhagen, Jan ist der Sohn des Hauptkommissars?
Ja. Die hatten ein unglaubliches Suchtpotenzial. Danach kamen ganz viele Bücher von Herbert Reinecker, dem Autor von «Derrick»: «Die 50 Jungs vom Abendblatt», «Der gelbe Handschuh» und so weiter. Mein Vater war damals etwas besorgt und legte mir dann «The Catcher in The Rye» von J. D. Salinger hin, auf Deutsch natürlich. Ich musste es nicht diskutieren, sondern einfach lesen.
Dann kamen Dürrenmatt und Frisch. Das erste Theaterstück, das ich las, war vermutlich «Die Physiker», absurd, lustig, apokalyptisch. Danach haben mir Schule und zu viele Inszenierungen den Dürrenmatt etwas ausgetrieben. Eigentlich geht das ja nur so, wie das Herbert Fritsch zurzeit am Schauspielhaus Zürich macht: völlig überdreht.
Und Frisch?
Frisch war für mich internationaler, polyglotter. Und da ich ja ein grosser USA-Fan bin, hat er mich quasi dorthin gebracht. Ich mag es, wenn man weg kann mit einem Buch.
Mit Richard Prices Manhattan-Romanen kann man eintauchen, sich für ein paar Stunden an einem Ort niederlassen, ohne dass man ins Flugzeug steigen muss. Das geht auch bei Ayelet Gundar-Goshen, deren Buch «Lügnerin» wir im Literaturclub besprechen.
Und was haben Sie in letzter Zeit gelesen, das Sie gepackt hat?
Ich nehme jetzt extra keine Belletristik, da ich mich sehr für Politik und Geschichte interessiere. Philipp Blom halte ich für einen der spannendsten modernen Denker. Sein Buch «Der taumelnde Kontinent. Europa 1900 – 1914» sollte man lesen.
Aber Bücher von Schweizer Autoren lesen Sie auch?
Selbstverständlich. «Kraft» von Jonas Lüscher fand ich wahnsinnig gut. Diese Idee, einen Vertreter des CDU-Liberalismus aus dem alten Europa auf die Techies des Silicon Valley prallen zu lassen, ist bestechend. Man braucht bloss etwas wie Twitter oder Dropbox zu erfinden, und schon besitzt man Flugzeuge und Jachten. Doch die Idee zu einer Geschichte zu haben, reicht nicht. Man muss sie dann auch umsetzen.
Und Lüscher kann einfach wahnsinnig gut schreiben. Er wollte ja erst eine Dissertation zu dem Thema machen. Ich als Leser bin aber froh, dass er die Diss abbrach und einen Roman daraus schuf.
Das Gespräch führte Christian Walther.