«Literaturclub»-Gastkritiker und Architekt Peter Zumthor liest viel, gerne und mehrere Bücher gleichzeitig. Thematisch interessiert ihn fast alles. Aber der Leseraum muss stimmen. Im Gespräch nennt er seine bevorzugten Leseplätze und erklärt, warum er nicht gerne Bücher verschenkt.
SRF: Ihr liebstes Buch?
Peter Zumthor: Das gibt es nicht. Solche «liebsten Bücher» wechseln.
Haben Sie literarische «Hausheilige»?
Da gibt es viele. Wenn ich ganz früh beginne: Johann Peter Hebel. In der frühen Jugend waren Dinge wichtig wie Peter Weiss: «Abschied von den Eltern», die 68er-Bücher. Irgendwann kam Peter Handke. Dann kamen Amerikaner: Carlos Williams und solche Dinge.
Literatur ist eine riesige Entdeckungsreise. Immer wieder verliere ich jemanden – und dann kommen wieder neue dazu. Jetzt gerade bin ich bei Andrzej Stasiuk. Er gefällt mir sehr gut.
Bevorzugter Leseort?
Ich lese eigentlich sehr gerne in der Masse. Oder im Zug: ein bisschen ein Unort, der aber dann so eine kleine Ruhe hat. Oder auch in einem Restaurant, in einem Café oder einer Bahnhofshalle. Im Flugzeug überhaupt nicht. Diese Blechbüchse stört mich – zu wenig Raum.
Ich lese aber auch zuhause am frühen Morgen bei einer Tasse Kaffee. Dann höre ich noch nicht einmal Musik dazu. Ich bin einfach in der Ruhe konzentriert auf das, was ich lese.
Gleichzeitig? Oder eins nach dem andern?
Immer mehrere Bücher gleichzeitig. Weil die Stimmung ändert. Ich lese viel, ich bin ein interessierter Mensch. Mich interessiert eigentlich alles.
Ich habe auch immer Essays zur Hand, will dies wissen und das wissen. Dann lese ich mich ein Stück weit ein. Und dann gibt’s Dinge, die ich gerne fertig lese, die mich packen. Und ganz selten gibt’s auch Dinge wie für den «Literaturclub», wo ich mich durchbeissen muss. (lacht)
Gibt es ein Buch, das Ihnen die Liebe zum Leben eröffnet hat?
Das war unbewusst: Bei uns zuhause wurde die katholische Bücherei im Pfarrhaus aufgelöst. Man konnte die Bücher einfach holen. Ich habe mir 20 Jules-Verne-Bände dort geholt und sie durchgelesen.
Vorher schon war’s Karl May gewesen. Und so ging das dann weiter.
Gibt es ein Buch, das Sie immer wieder zur Hand nehmen?
Gerade im Moment? Die Gedichte von Michael Krüger, dem ehemaligen Hanser-Verleger. Seine Gedichte habe ich offen daliegen. Dann lese ich eins und lasse sie wieder liegen – und dann lese ich wieder zwei, drei.
Bei welchem Buch haben Sie zuletzt laut gelacht?
Gerade gestern, bei Thomas Hürlimanns «Heimkehr». Obwohl ich nicht wollte! Hürlimann ist ja ein Meister der komischen, skurrilen Personenschilderungen. Obwohl ich das eigentlich gar nicht gerne habe, hab ich mich ertappt, dass ich lache. Es war irgendeine von diesen Stellen, wo er die Personen so tölpelhaft erscheinen lässt.
Gibt es ein Buch, das Sie niemals beenden?
Das sind die Dinge, die ich auch nicht richtig anfange … «Der Mann ohne Eigenschaften» oder Proust. Die werde ich nie beenden!
Ein Buch, das jeder Architekt kennen sollte?
Die wissenschaftliche Autobiografie von Aldo Rossi ist sehr gut. Und auch Christopher Alexanders «A pattern language» ist so ein Musterbuch der Architektur, unpopulär und versteckt. Es würde den Architekten aber guttun, weil es sich um praktische Dinge kümmert.
Ein Buch, das Sie gerne verschenken?
Ich würde eigentlich gerne Bücher verschenken. Aber ich bekomme selbst so viele Bücher! Und ich denke immer: Ein Buch zu verschenken ist ein bisschen eine Anmassung. Wenn mir jemand ein Buch schenkt, müsste ich dem 20 oder 30 Stunden meiner Lebenszeit widmen. Das mach ich dann vielleicht nicht. Und dann hab ich ein schlechtes Gewissen … Deswegen bin ich bei Büchern ein bisschen vorsichtig.
Ein Roman, in dem Sie gerne eine Figur wären?
In Gottfried Kellers Romanen gibt es Stimmen, bei denen ich denke: Die stehen gut in der Welt.