Libuše Moníková kommt auf mich zu, offen, herzlich, sie habe von einem gemeinsamen Bekannten von mir gehört. Wir sind in Slowenien, vor den Lesungen in Lipica.
Auf einem langen Spaziergang unter uralten Eichen sprechen wir über ihre und meine strapazierte Liebe zur Tschechoslowakei, unserem Land, dessen trauriger Geschichte, vom Verrat der Apeasement-Politiker 1938 in München, zum «Anschluss», zu Protektorat, Krieg, Vertreibung, den stalinistischen Liquidierungen, der enttäuschten Hoffnung von 1968 – und über unsre Arbeit in Verbindung damit.
Die gemeinsame Landschaft der Kindheit kann zur Verständigung schneller beitragen als Sprache. Vielleicht auch die gemeinsame Sorge um die letzten Zwetschgenbäume entlang der Grenze.
Redend, auch schweigend wandern wir durch die grosszügige slowenische Landschaft, tauschen dann unsre Bücher aus, ihre «Pavane für eine verstorbene Infantin» und meine «Valerie oder Das unerzogene Auge». Lipica, 10. 9. 1989: der Beginn einer Freundschaft.
Wir werden uns fortan immer wieder anrufen und eingehend vom jeweiligen work in progress, auch über Alltägliches sprechen, wir werden uns schreiben. Libuše wird nach La Neuveville kommen, wir werden Pilze suchen und finden («Wusstest du nicht, dass die Tschechen grosse Pilzliebhaber sind?») und uns im Garten an den gerade reifen Zwetschgen überessen.
Ich werde sie in Berlin besuchen, vier Stockwerke zu ihrer Wohnung hinaufsteigen, die Treppe, die Michael Herzog, der eine ihrer beiden Männer, später, am Tag von Libuše Moníkovás Gedenkfeier im Literarischen Colloquium, hinunterstürzen wird. Der andere, Wolfgang Coy, wird die Gedenkrede halten.
In ihrem hellen Zimmer diskutieren wir über Libušes «Verklärte Nacht», trinken Wein und bewundern dann Michaels Terrarien. Jede Minute ist kostbar.
Im Salon du Livre in Bordeaux wird sie meinen zukünftigen französischen Verleger in meine Lesung schleppen, sie wird die tschechischen Sätze in meinem Text korrigieren und auch Sätze von mir in ihrem Buch aufnehmen.
Jahre später tönt Libušes Stimme im Telefon, als käme sie von weither, stockend, sie muss die einzelnen Wörter erst suchen. Nein, sie sei nicht nach Kalifornien geflogen, sie sei krank, operiert worden. Knapp am Sprachzentrum vorbei. Die Therapie ist ziemlich rabiat und beeinträchtigt eine Reihe anderer Funktionen, das Kommunizieren ist schwer.
In dieser Situation, wo nichts sicher ist, ausser: ich habe nicht viel Zeit, habe sie ein neues Buch angefangen. Ob ich ihr einen Hodler-Katalog, den sie dafür brauche, nach Berlin mitbringen könnte?
«Das Leben ist seltsam, vielseitig und lustig», schliesst ihr letzter Brief.
Unser unter den Lipizaner-Eichen begonnenes Gespräch ist allzu bald zu Ende.