SRF: Tim Krohn, Sie haben gerade erfolgreich Ihr Crowdfunding-Projekt «777 ‹menschliche Gefühlsregungen›» auf der Plattform «wemakeit.ch» abgeschlossen. Es ist Ihnen gelungen, genügend Geschichten an Ihre Unterstützer zu verkaufen, um die nötigen 40'000 Franken zusammen zu bekommen. Sind Sie überrascht?
Tim Krohn: Ja, völlig! Alle sagten mir, dass diese Crowdfunding-Sachen nichts bringen würden. Tot arbeiten würde ich mich mit dieser Idee. Doch jetzt sind die Feedbacks toll, die meisten Leute sind begeistert. Vor allem ist es berührend zu sehen, was die Menschen sich für Geschichten wünschen.
Sie haben eine lange Liste von 777 Begriffen für menschliche Regungen – von «Aalglätte» bis «Zynismus». Zu welchen Geschichten wünschen sich Ihre Unterstützer Geschichten?
Beliebte Wörter sind etwa «Demut», «Anmut», «Kränkung», aber auch «Androgynie», «Asexualität», «Direktheit» und «Verspieltheit».
Erstaunt es Sie, dass es gerade diese Stichworte sind, und nicht gängigere, wie etwa «Liebe»?
Nein. Ich war aber überrascht, wie schnell die Wahl bei gewissen Leuten passierte. Vermutlich ist es jeweils ein Gefühl, das in ihnen gärt. Und sie möchten es irgendwie greifen können – und dafür soll die Geschichte dienen. Gerade beim Wort «Kränkung»: Die Wahl kam von einem Menschen, der alles erreicht zu haben scheint im Leben – aber offenbar schlummert etwas in ihm, das er nicht runterschlucken kann. Ich bin sehr gerührt, dass er mir zutraut, durch eine Geschichte von mir mit diesem Gefühl besser fertig werden zu können.
Das Bedürfnis scheint also vorhanden zu sein, über die eigenen Gefühlsregungen mehr zu erfahren. Woran liegt das?
Nun ja, generell ist es die Aufgabe von uns Schriftstellerinnen und Schriftstellern, der Welt Sinn zu verleihen. Zusammenhänge herzustellen zwischen Ereignissen, die im Widerspruch zueinander stehen, eine Biografie in einem Leben zu erkennen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, einmal ganz konkret einen Punkt aufzugreifen, bei dem man eine Sehnsucht verspürt, sich unerfüllt fühlt. Und dann sagen zu können: Jetzt schreibt dieser Mann ganz für mich, ganz für mein Leben. Das ist ein bisschen wie Kaffeesatz lesen: Er schreibt mir eine Geschichte und vielleicht finde ich darin etwas, das meinem Leben noch eine andere Dimension gibt.
Sie haben schon jetzt 777 Regungen zusammen, es sollen noch mehr werden. Sie möchten die einzelnen Geschichten zu einem grossen Roman verweben – wie soll das funktionieren?
Ich möchte Figuren entwickeln, die sich durch all diese Geschichten hindurch bewegen. Ich denke an etwa zehn Hauptfiguren, die Handlung soll sich in einem Zeitraum von 10 oder 20 Jahren abspielen. Die Leser werden diese Figuren auf ihrem Weg begleiten und die einzelnen Geschichten sollen immer Teile eines Ganzen sein.
Geplant sind zwischen 2000 und 3000 Seiten – das ist viel!
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Ja, das klingt nach viel, aber da es alles schöne Begriffe sind, über die man wirklich viel erzählen kann, schreibt sich das relativ einfach. Begriffe wie «Hasenfuss», «Kleingeist» oder «Unflat» haben alleine schon eine solche Kraft und Ausstrahlung – man könnte für jeden dieser Begriffe einen eigenen Roman schreiben.