Camus ist am 7. November 1913 im heutigen Algerien auf die Welt gekommen. Er wuchs in ärmlichen familiären Verhältnissen auf, studierte später Philosophie, arbeitete als Reporter, engagierte sich politisch, schrieb Bühnenstücke, Romane und philosophische Essays. Seine Philosophie ist wild, lebensnah, bildhaft und intuitiv. Leider enthält sein Werk auch viele Unklarheiten, Fehlschlüsse und Widersprüche.
An existenzieller Tragweite mangelt es jedoch selten. So beginnt «Der Mythos des Sisyphos» – Camus’ bekannteste philosophische Schrift – mit den Worten: «Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Sich entscheiden, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden oder nicht, heisst auf die Grundfrage der Philosophie antworten.»
Das Leben ist absurd
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Camus beschreibt in dem Essay «Der Mythos des Sisyphos» die menschliche Existenz als hoffnungslose Absurdität. Gott sei tot und das Leben insgesamt sinnlos. Wir würden in einer hoffnungslosen Welt leben und dennoch so tun, als hätte alles einen Sinn. Der sinnsuchende Mensch im sinnleeren Weltall.
Diese absurde Kombination sei zugleich der Ausgangspunkt jeder redlichen Philosophie. Wir Menschen gehen Tag für Tag unserer Arbeit nach, erledigen unsere Pflichten und nehmen uns wichtig – als wüssten wir nicht, dass wir alle bald sterben werden und unser Treiben völlig vergebens ist. Dieser unangenehmen Tatsache müssen wir Camus zufolge mit Mut ins Auge blicken. Immer und immer wieder. Alles andere sei unaufrichtig, feige oder illusorisch. Camus wirft Philosophen wie Kierkegaard, Jaspers oder Heidegger vor, sie seien vor dem Absurden geflüchtet.
Die Entdeckung der Freiheit
Die allumfassende Gleichgültigkeit ist für Camus weder ein Grund zu verzweifeln, noch in Illusionen zu flüchten oder gar Selbstmord zu begehen. Im Gegenteil: Wir sollten unser Dasein in all seinen Zügen auskosten und das Hier und Jetzt möglichst intensiv leben. Das Bewusstsein der Absurdität ist zugleich eine Entdeckung unserer Freiheit. Wir erkennen, dass wir nichts zu verlieren haben. Regeln, Pflichten, Pläne und Sorgen werden bedeutungslos. Sie wirken beliebig – wie alles andere. Wir allein bestimmen, wo’s lang geht. Wir nehmen unser Schicksal endlich in die eigene Hand. Und das fühlt sich verdammt gut an. Hier ist Camus ganz Existenzialist.
Der glückliche Sisyphos
Camus vergleicht uns Menschen mit der mythologischen Figur des Sisyphos. Dieser arme Kerl muss einen schweren Stein immer aufs Neue einen Berg hinaufrollen. Der Stein rollt nämlich stets wieder hinunter, sobald Sisyphos oben angekommen ist. Unser Leben gleicht nach Camus also einer «Sisyphusaufgabe», einem sinnlosen Unterfangen, ohne Zweck und ohne Erfolg. Nun aber kommt der Clou. Camus meint nämlich: «Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen».
Wie bitte? Warum zum Teufel soll dieser Sisyphos glücklich sein, fragt man sich. Camus meint, Sisyphos erkenne, dass der Fels allein seine Sache ist: «Sein Schicksal gehört ihm». Darin bestehe sein Glück. Dasselbe gelte für uns Menschen: In einem gottlosen Universum gibt es keinen Plan, ausser wir Menschen schmieden ihn. Der bewusste Mensch ist, wie Camus schreibt, «Herr seiner Tage» und seines Schicksals Schmied.
Und wo bleibt die Moral?
Der absurde Mensch lebt selbstbestimmt, hellwach, leidenschaftlich, neugierig und intensiv. Und er lehnt sich immer wieder gegen sein absurdes Schicksal auf: «Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann», schreibt Camus. In dieser revoltierenden Haltung bestehe «die einzige Würde des Menschen».
Zugleich ist die Revolte das Fundament von Camus’ gefühlsbasierter Ethik der Menschlichkeit: Die Empörung angesichts von Unmenschlichkeit und Leid führe den Menschen aus der Einsamkeit heraus zur Solidarität mit seinen Mitmenschen. In der Revolte werde der Mensch vom «solitaire» zum «solidaire» und kämpfe für etwas, das ihn mit allen Menschen verbindet – die menschliche Würde.