Nachdem Helen Meier acht Jahre lang geschwiegen hat, präsentiert die mittlerweile 85-jährige Autorin aus Trogen (AR) eine Sammlung literarischer Miniaturen, welche in unterschiedlicher Weise Fragen rund um das Altern aufwerfen. Bequem und leicht verdaulich sind die Texte nicht: Sie sind sperrig, meistens ironisch gebrochen und nicht selten ganz schön starker Tobak.
Wider die Verklärung
Mit schonungsloser Schärfe schildert Meier an einer Stelle etwa die Lieblosigkeit, mit der Eheleute nach Jahrzehnten des Zusammenlebens miteinander umgehen. Andere Texte prangern den körperlichen Zerfall an, der die geschilderten Figuren in der letzten Lebensphase ergreift.
Das Buch ist weit davon entfernt, das Alter zu verklären. Vielmehr benennt es offen den Verlust sinnlicher Freuden. Die Sexualität erlahmt, der Spass an Speis und Trank nimmt ab, und das einst geliebte Reisen erscheint als zunehmend beschwerlich.
Beobachterin des Älterwerdens
Sie habe beim Schreiben der Texte aus ihrem eigenen Erleben des Älterwerdens geschöpft, sagt Helen Meier: «Ich lebe sehr bewusst, höre in mich hinein und sehe mir die Menschen um mich herum genau an.» Aus diesen Erfahrungen habe sie die literarischen Miniaturen des Buches modelliert, in denen sie aus unterschiedlicher Perspektive Blicke auf die Vergänglichkeit wirft.
Meier bricht die Stimmung in ihren Geschichten immer wieder mit überraschenden Wendungen, queren Gedanken und feiner Ironie. So richtet sie einzelne Texte direkt an Gott, bezweifelt jedoch gleichzeitig, ob es diesen Gott überhaupt gibt. «Es darf einem nicht allzu wohl werden in meinen Geschichten», erklärt Meier.
Süchtig nach dem Leben
Die einzelnen Geschichten und Texte der Sammlung enden zumeist im Vagen und lassen verschiedene Handlungsoptionen zu. Meistens jedoch laden sie dazu ein, es einzelnen geschilderten Figuren gleichzutun – ob der Vergänglichkeit nicht zu resignieren oder das Glück weiterhin zu suchen.
Der Schlüssel dazu liegt für die Schriftstellerin darin, das Leben bis ins hohe Alter aktiv und selbstbestimmt zu gestalten. «Zufrieden alt werden heisst, lebendig zu bleiben», sagt Helen Meier im Gespräch. «Man muss sich bis zum Ende eine Lebenssucht erhalten und diese auch ausleben.» Etwa durch die geliebte Arbeit im Garten, die Lektüre von Büchern oder schlicht durch das Interesse am Zeitgeschehen.
Helen Meiers Buch ist nicht ausschliesslich Alters-Prosa für Menschen im letzten Lebensabschnitt. Vielmehr bergen die poetisch gestalteten Momentaufnahmen eine tiefe Weisheit, die alle Generationen betrifft.
Sendung: Radio SRF 1, Buchtipp, 14:15 Uhr